Clausewitz

VERÄNGSTIGTE BLICKE: Viele deutsche Soldaten sind nur unzureichend auf den „scharfen“ Frontein- satz vorbereitet. Dies kri- tisiert auch Heeresgrup- penchef Fedor von Bock 1939 Foto: Sammlung Anderson STRAPAZIÖS: Die Infan- teristen müssen teilwei- se extrem hohe Marsch- leistungen bei brennen- der Spätsommerhitze erbringen Foto: IMAGNO/Votava/ Süddeutsche Zeitung Photo

c) Fliegertarnung ganz schlecht. d) Mot. Kräfte. 1. Bei Stockungen bleibt alles stehen und wartet. Offiziere bleiben sit- zen, statt sich um Behebung der Stockun- gen zu kümmern. 2. Was im Gefecht nicht gebraucht wird, mindestens acht Kilome- ter absetzen, sonst unnötiges Anstauen hinter der Kampffront.“ Mit Todesverachtung Im Gegensatz zur NS-Propaganda themati- sieren die Divisionsgeschichten beteiligter deutscher Verbände nicht nur den Tod geg- nerischer Soldaten, sondern häufig auch den Verlust eigener Kameraden während des Feldzuges. Zudem heben sie auch die Hart- näckigkeit des polnischen Widerstandes her- vor. Denn das die Offensive im östlichen Nachbarland des Deutschen Reiches kein militärischer Spaziergang werden würde, ist vielen Offizieren im Spätsommer 1939 durchaus bewusst – vor allem denen, die be- reits im Weltkrieg 1914–1918 standen. Unter den Divisionen, die im Jahr 1939 von Beginn an in schweren Kämpfen stehen, ist auch die 1. (ostpreußische) Infanteriedivi- sion. Sie greift am 1. September aus ihrem Bereitstellungsraum südlich von Allenstein heraus in die Kampfhandlungen ein und dringt nordwestlich von Rozan auf polni- sches Territorium vor. Dabei kommt es zu ZERSTÖRT: Ein im Kampf ausgeschalteter Panzerspähwagen (SdKfz 222) der Wehr- macht. Das Fahrzeug ist vollkommen ausge- brannt Foto: Hoppe

zes. Gute Gelegenheiten werden verpasst. Ausnutzung der schweren Waffen der In- fanterie fehlt vielfach. Man schreit nach Artillerie. (...)

Probleme bei einem neuen Feldzug, etwa ge- gen Frankreich, dramatische Folgen für die Truppe hätten. So kritisiert der Oberbefehls- haber der Heeresgruppe Nord, General- oberst Fedor von Bock, nach dem Ende des Polenfeldzuges Anfang Oktober 1939: „Ein- drücke anders geworden nach eingehenden Besprechungen mit Kommandeuren. Infan- terie von 1914 auch nicht annährend erreicht. Impuls der vorderen Linie fällt aus, alles ba- siert auf Führern, daher Offiziersverluste. MG in vorderer Reihe schweigen, weil sie fürchten, sich zu verraten.“ Etwa zur gleichen Zeit beklagt General- major Friedrich-Wilhelm von Chappuis, Chef des Generalstabes des XIV. Armeekorps (mot.), den schlechten Ausbildungsstand und gravierende Einsatzmängel in einem ge- heimen Bericht an den Heeresgeneralstabs- chef, General der Artillerie Franz Halder. In dem Schriftstück heißt es unter anderem: „a) Mängel der mittleren und unteren Füh- rung. b) Infanterie greift nicht scharf genug an. Zu umständlich im Aufbau des Feuerschut-

DOKUMENT „Führer“-Aufruf „Soldaten der Ostarmee! Ihr habt schon in knapp zwei Tagen Leistungen vollbracht, auf die ganz Deutschland mit Stolz blickt. Ich weiß, dass Ihr die Größe der Euch gestellten Aufga- be erkennt und Euer Äußerstes tut, um zunächst diesen Gegner in höchster Schnelligkeit niederzuwerfen. Der mit ungeheuren Mitteln ausgebaute West- wall wird unterdes Deutschland gegen Frankreich und England abschirmen und damit beschützen. Ich selbst bege- be mich als alter Soldat des Welt- krieges und als Euer Oberster Be- fehlshaber noch heute an die Front zu Euch!“ Adolf Hitler am 3. September 1939

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Clausewitz 4/2022

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