DRAHTSEILAKT: Soldaten, vermutlich Alpini, versuchen, ein Feldgeschütz zu transportieren. Solche riskanten Aktionen dienen einem Ziel: Artilleriewaffen in güns- tige Stellungen – auch in hohen Gebirgs- lagen – zu bringen Foto: picture-alliance/dpa
D a gibt es kein Entrinnen: Die Natur- gewalten im Hochgebirge haben die Soldaten beider Seiten gleicherma- ßen fest im Griff. Die extremen geografischen und klimatischen Bedingungen beeinflussen auch die eingesetzte Waffentechnik der Kon- trahenten. Diese versuchen, sich in einer Art Rüstungswettlauf zu überbieten und noch größere, schwerere Waffen und Kaliber an die Front zu transportieren. Apropos Transport: Dieser ist in den hohen Gebirgslagen ohne entsprechende Infrastruktur extrem mühse- lig und kompliziert und zehrt in besonderem Maße an den Kräften von Mensch und Tier. Denn selbst einzelne schwere Waffen müssen die Soldaten unter größter Kraftanstrengung die steilen Feldwände hochziehen beziehungs- weise tragen. Nicht selten kommt es dabei zu Unfällen mit schwerwiegenden Folgen für abgestürzte oder unter dem Transportgut ein- geklemmte Männer – so berichten Zeitzeugen von grausamen Todesfällen und entsetzlichen Verstümmelungen. Da größere Truppenbewegungen infolge der geringen Anzahl von Straßen und passier- baren Wegen zudem stark kanalisiert sind, kommt dem Faktor Gelände ein ungleich höherer Stellenwert zu als etwa beim Kampf auf flachem Terrain. Das Gelände wird somit zu einer Art Waffe, denn oft entscheidet seine Kontrolle über Erfolg oder Misserfolg. Daher unternimmt man beinahe alles, um bestimmte Abschnitte zu erobern beziehungsweise zu halten. Dabei setzt man hüben wie drüben verstärkt auf Artilleriewaffen, deren Feuer den Gegner zermürben und seine in die Fels- wände getriebenen Gräben und Kavernen sturmreif schießen soll. Schnell zeigt sich auch im Gebirgskrieg, dass Geschützrohre unterschiedlichster VOR DEM FEUERKAMPF: Artilleristen der k. u. k. Armee bereiten ihre Waffe für den Einsatz vor. Der folgende Geschosshagel soll den Gegner zermürben und seine Stellungen pulverisieren; Fotopostkarte (um 1915) Foto: picture-alliance/akg-images
Kaliber eine entscheidende Waffe im Zuge der Kämpfe sein können. Der Führer des Deutschen Alpenkorps; Konrad Krafft von Dellmensingen, schreibt dazu in einem streng vertraulichen Bericht am 22. Juni 1915: „Der Feind handelt (…) nicht unlogisch, wenn er sich vor allem eine überwältigende Artillerie- überlegenheit zu sichern sucht. (…) Der Feind will sich also vermutlich alle Bedingungen schaffen, um, wenn er einmal seinen Angriff entschleiert, mit aller Wucht und Nachhal- tigkeit von seinen technischen Hilfsmitteln Gebrauch machen zu können und damit einen Ausgleich für die nicht sehr hoch stehende Angriffskraft seiner Infanterie zu schaffen.“ Dumpfes Donnergrollen Unabhängig davon, ob Dellmensingen mit seinem Seitenhieb auf die Angriffskraft der italienischen Infanterie richtig oder falsch liegt: Oft kann die Infanterie nur unter dem Schutz des eigenen Artilleriefeuers erfolgreich gegen gut ausgebaute Stellungen (anders als bei überfallartigen Attacken auf kleinere Posten) vorgehen und den Gegner werfen. Daher versuchen beide Seiten bis in höhere
Dolomiten-Gipfel-Lagen hinein, ihre Geschütze in Position zu bringen. Darüber hinaus bemü- hen sich sowohl Österreicher als auch Italiener, verschiedene Steilfeuerwaffen in geeigneten Höhenstellungen zu platzieren. Die Geschütze der Gebirgsartillerie müssen hingegen mög- lichst leicht sein. Wichtig ist auch eine geringe Spurweite der Lafetten sowie die Zerlegbar- keit des Gerätes, damit Trag- oder Zugtiere es transportieren können. Zu Kriegsbeginn verfügt zum Beispiel die österreichische Gebirgsartillerie über Modelle der eher betagten 7-cm-Gebirgskanone, ehe sich bis Ende 1916 die neue 7,5-cm-Gebirgs- kanone M 1915 von Škoda zur Standard- waffe der österreichischen Gebirgsbatterien entwickelt. Auch ursprünglich für den Festungskrieg entwickelte Minenwerfer kristallisieren sich zunehmend als äußerst wichtige Waffe des Gebirgskriegs heraus. Aufgrund ihrer hohen Durchschlagskraft und ihres vergleichsweise geringen Gewichtes kann man sie auch auf steilen Bergpfaden transportieren. Sowohl das Gelände als auch die Nähe der feindli- chen Gräben kommen der Wirkung der Waffe
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Clausewitz 5/2025
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