Auf die Legionäre ist Verlass
gierte auch als Melder und da das Leben un- gerecht ist, war er auch Mädchen für alles. Aber Hut ab: Er brachte es fertig, immer dann einen Kaffee aus seinem Hut zu zau- bern, wenn ich dringend einen benötigte - sogar in den Momenten, in denen um uns herum die Kacke kräftig dampfte. Alle Männer fühlten sich ausgeruht und fit, die Moral konnte besser nicht sein. Unter normalen Umständen bekleidete mein Stell- vertreter, ein Feldwebel belgischer Nationa- lität, die Funktion „Führer des Zugtrupps“. Für die Kongo-Mission allerdings habe ich ihm eine andere Aufgabe zukommen lassen. Nach der Anlandung wollte ich rapide einsi- ckern. Für dieses Vorgehen sollte er den Ein- satz der ersten und der zweiten Gruppe ko- ordinieren. Ich wollte, dass diese beiden Gruppen hinten links und hinten rechts und tief gestaffelt in meiner Zugkeilformation marschierten. Sie hatten unter anderem die Aufgabe, den Zugtrupp und die vorneweg aufklärende dritte Gruppe zu decken. In der Legion ist der Platz des Chefs vorne, mit Blick ins Gelände. Der beste Job der Welt Mit zwei Gruppen im Rücken fühlte ich mich wohler, wissend, dass ich so im Falle einer Feindberührung mit einem rapiden, koordinierten Deckungsfeuer rechnen durf- te. Eine Umstellung in Zugbreitkeilformati- on könnte innerhalb Sekunden geschehen, falls die Lage dies erforderte. Und immer wieder diese Reflexionen. Vor zwölf Jahren noch war ich Zivilist im kühlen Deutschland und kämpfte mit der Langweile und der Be- deutungslosigkeit sehr vieler Dinge in mei- nem Leben. Heute stand ich an den Ufern des Kongoflusses, 40 mutige Männer in mei- ner Spur, die mir auf Teufel komm raus in ein bemerkenswertes Abenteuer folgen wür- den. Ich bereute keine einzige Minute, in die Legion eingetreten zu sein. Kein Job der Welt brachte mir so viel Genugtuung wie dieser. Einen Sonderfall bildeten die drei Scharf- schützen. Sie sollten selbstständig, unabhän- gig und flexibel operieren. Sie wussten, was von ihnen verlangt wurde. Ihr Instinkt wür- de sie zur geeigneten Zeit die angemessenen Entscheidungen treffen lassen. Wie der Einsatz sich für Thomas Gast und sei- nen Zug entwickelt, erfahren Sie im nächsten Heft. Thomas Gast, Jahrgang 1961, ist ein ehemaliger Frem- denlegionär und heute unter anderem als Autor tätig.
on ab. Mein Zug besaß eine Stärke von 42 Mann. Fast alle Legionäre hatten mindestens einen scharfen Einsatz hinter sich. Schwach- stellen sah ich keine. Die Kampfgruppen eins bis drei mit einer jeweiligen Stärke von zwölf Mann waren so gegliedert und gedrillt, dass sie selbstständig, also taktisch unabhängig, oder als Teil und im Rahmen des Zuges ein- gesetzt werden konnten. So bestand jede Gruppe aus einem Sturm- und einem De- ckungstrupp. Jeder Gruppenführer verfügte weiterhin über einen Scharfschützen. Wegen der Erfahrungen während unseres Einsatzes im Bosnienkrieg 1992/93 wurde das Scharfschützenkontingent für die Dauer des Konflikts verdoppelt. Pro Gruppe gab es damals nämlich zwei Scharfschützen. Beide verfügten über das Scharfschützen-Repetier- gewehr FR-F2 vom Kaliber 7,62 x 51 Millime- ter. Nach dem Einsatz auf dem Balkan wurde wieder auf einen einzigen Scharfschützen umgestellt. Im Deckungstrupp fanden sich die Standardwaffen Famas, Minimi (leichtes MG 5,56 Millimeter) und LRAC (Panzerfaust – lance-roquettes antichar de 89 millimètre modèle F1). Unabhängig davon, welchem Trupp er angehörte, trug jeder Legionär eine beachtliche Anzahl Handgranaten mit sich. Alle Famas-Schützen verfügten zudem über Gewehrgranaten verschiedener Versionen für unterschiedliche Situationen. Zum Bei- spiel die APAV 40, piège à balle. Es war eine Anti- Personen- und Anti-Fahrzeug-Granate. Von taktischem Vorteil war, dass man sie abfeuern und den Kampf sofort mit scharfer Munition weiterführen konnte, ohne vorher nachladen oder das Magazin wechseln zu müssen. Zudem gab es die AC-58: Hier han- delte es sich um eine reine Panzerabwehr- Granate. Was die Munition anbelangte, so verfügten die Famas-Schützen über 250 Schuss. Im Gefechtszustand „Gefechtsbereit- schaft hergestellt“ befanden sich zwei Ma- gazine in der Waffe. Sie waren mit Klebe- band nebeneinander zusammengefügt, um zumindest den ersten Magazinwechsel ra- scher vonstattengehen zu lassen. In zwei Se- kunden hatte der Legionär nachgeladen. In den Kampfrucksäcken, den Musetten, steck- te nochmal dieselbe Anzahl an Munition. Die drei Minimi-Schützen sowie der einzige AA-52-MG-Schütze trugen 700 Schuss am Mann und in der Musette. Welsh, ein irischer Obergefreiter, bedien- te das schwere MG. Ihm hatte ich einen La- deschützen zugeteilt. Und der schleppte den Löwenanteil an Munition dieses Kalibers. Die Scharfschützen waren mit 70 Schuss am
Mann gut bedient. Ob 7,62 Millimeter oder 5,56 Millimeter, das Verhältnis der Muniti- onsart war immer 3:1. Drei Schuss normale Munition, gefolgt von einem Schuss Leucht- spur-Munition. Des Weiteren führte jede Gruppe acht Panzerfaust-Patronen mit: jeweils zwei für Schütze und Ladeschütze, der Rest war auf die anderen Legionäre verteilt. Mich belus- tigt heute noch eine Szene, die sich in ORS- TOM kurz vor dem ersten nächtlichen Ma- növer zum Übersetzen über den Fluss abge- spielt hat. Unter vielen anderen Dingen trug ich wie üblich meine kleine, aber wuchtige Machete, eine Ontario-Spec 4 Plus, am Mann. Als mich der Capitaine damit sah, sprach er sofort ein Machetenverbot aus. Ich nahm sie ab, sobald der Capitaine sich aber außer Sichtweite befand, kam sie wieder dran: Ehrensache! Ich wollte eben nicht da- rauf verzichten. Damals war es in der Legion so üblich, dass alles, was nicht von der Ar- mee direkt geliefert wurde, verboten war. Ausrüstungsgegenstände wie Messer, per- sönliche Waffen oder Optiken lösten bei den Offizieren fast immer Unverständnis aus. Im Kampf spielte das kurioserweise keine Rolle mehr – ganz im Gegenteil! Wenn die franzö- sischen Offiziere eines wussten, dann, dass sie sich auf ihre Legionäre und Unteroffizie- re im Einsatz verlassen konnten. Das war bei der Belagerung der Festung Tuyen-Quang im Jahr 1885 unter Capitaine de Borelli so und das sollte sich unter Capitaine Troti- gnon im Jahr 1997 auch nicht ändern! Gut eingespieltes Team Jeder Gruppenführer hatte eine gewisse An- zahl Rauch- und Nebeltöpfe sowie die übli- che Palette an Nachtsicht-Geräten, Laser- Entfernungsmessern, GPS-Geräten und so weiter bei sich. Die Schutzwesten, die wir trugen, wogen viel zu schwer. Modular auf- geteilt, konnte der Lenden- und Hoden- schutz abgenommen werden. Das taten wir auch. Ebenso verhielt es sich mit dem Hals- und Kinnschutz. Er schränkte die Mobilität zu stark ein, fanden wir. Er blieb folglich im Camp, als wir ausrückten. Mein Zugtrupp hatte eine Stärke von 0/2/4. Zwei Unteroffi- ziere, vier Legionäre. Darunter war mein Stellvertreter, ein Funker, ein MG-Schütze, ein Krankenpfleger mit dem Erste-Hilfe- Rucksack und ein Fahrer. Der Fahrer fun-
55
Clausewitz 4 /2022
Made with FlippingBook flipbook maker