BARRY LYNDON (1975)
Der Vertrag, den Kubrick mit der Produk- tionsfirma Warner Bros. ausgehandelt hat, gesteht ihm den „Final Cut“ zu, das heißt, der Regisseur – nicht der Produzent – legt die letzte Hand an das Filmmaterial. Barry Lyndon kommt deshalb nicht nach kommer- ziellen, sondern allein nach künstlerischen Aspekten in die Kinos. Kubrick lässt sich für die Postproduktion ein ganzes Jahr Zeit. John Calley, damals Produzent bei Warner, sieht das ungewöhn- lich pragmatisch für jemanden in seiner Position: „Es würde überhaupt keinen Sinn machen, Kubrick zu sagen: ‚Okay Kumpel, du hast noch eine Woche Zeit, das Ding fer- tigzustellen!‘ Dadurch würde man nur einen mittelmäßigen Film erhalten, der vielleicht acht Millionen Dollar gekostet hätte, anstatt eines Meisterwerkes für elf Millionen. Wenn jemand eine Menge von deinem Geld aus- gibt, ist es klug, ihm die Zeit zu geben, den Job richtig zu machen.“ Als der Film 1975 endlich nach mehreren Jahren Arbeit in die Kinos kommt, sieht es in der Tat danach aus, als ob Kubrick „den Job
schönsten Filme aller Zeiten.“ Neben den Kritikern begeistert Barry Lyndon auch die Filmindustrie, die ihn nur so mit Preisen und Auszeichnungen überschüttet, darunter vier Oscars. Aber kein Film, auch keiner von Stanley Kubrick, findet nur Bewunderer. Manchen Rezensenten ist der Erzählstil zu langsam, die
richtig gemacht hat.“ Der Großteil der Presse ist voll des Lobes. Variety schreibt, „Beset- zung, Konzept und Ausführung sind alle superb“, das Time Magazine vergleicht den Film mit den Arbeiten der Regiegrößen D. W. Griffith und Sergei Eisenstein und nennt ihn „ein Kunstfilm-Spektakel“, und der Play- boy spricht von einem „der atemberaubend
Der junge Ire Barry steigt Mitte des 18. Jahrhunderts nach dem Kriegsdienst in der engli- schen und der preußischen Armee durch Heirat in die höchsten Gesellschaftskreise auf. Aber er scheitert aufgrund einer Verkettung eigener Fehltritte und Launen des Schicksals und kehrt verarmt und als Krüppel in seine Heimat zurück. Zusammenfassung & Kurzkritik
Kubricks dreistündiges Epos vom Aufstieg und Fall des irischen Spitzbuben ist bis ins kleinste Detail durchkomponiert. Der konse- quente Stilwille und der nach primär künstlerischen Erwägungen gestaltete Aufbau machen Barry Lyndon zu einem visuell atembe- raubend schönen Film. Gleichzeitig schafft Kubrick ein vielschichti- ges Zeit- und Sittenporträt, das den Zuschauer in seiner Komplexi- tät fordert. Im Gesamtwerk des Regisseurs gehört Barry Lyndon zu den am wenigsten beachteten Filmen – zu Unrecht, denn was die formalen Aspekte der Filmkunst angeht, ist er Kubricks perfekter Film. Erhältlich auf Blu-ray und DVD.
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