ARTHUR AITKEN BEI TANGA
immer noch überzeugt, dass er die Deutschen mit links durch den Fleischwolf dreht. Sumpf und Tsetse-Fliegen hin oder her. Als Aitkens 8.000 Soldaten endlich vollzählig an Land sind und sich in Richtung Tanga in Marsch setzen, hat Lettow-Vorbeck 48 Stunden Zeit gehabt, entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Er ist zwar mit insgesamt nur zirka 1.000 Soldaten zahlenmäßig weit unterlegen, aber das maximal dilettantische Vorgehen der britischen Führung macht ihn dennoch zuversichtlich. Völlig ahnungslos Aitkens Streitmacht kommt gut voran, ohne auf Gegen- wehr zu stoßen. Als drei Offiziere eine Anhöhe besteigen, um nach deutschen Soldaten Ausschau zu halten, peit- schen auf einmal Schüsse aus dem Blätterwerk – alle drei sind auf der Stelle tot. Askaris brechen aus dem Unter- holz und stürmen auf die indische Einheit zu, die ihnen am nächsten ist. Das völlig übertölpelte 13. Rajput-Regi- ment macht sofort kehrt, flieht und lässt seine britischen Offiziere zurück, die ebenfalls sofort von den Askaris getötet werden. Indische Offiziere wollen sogar ihre briti- schen Gegenstücke daran hindern, der Flucht der eigenen Leute entgegenzutreten; einer muss deswegen erschos- sen werden. Aber es hilft alles nichts: Die indischen Sol- daten sind so verschreckt, dass sie schon beim kleinsten Geräusch auf der Stelle kehrt machen und zurück zum Strand fliehen. Aitken, der persönlich gar nicht zugegen ist, sondern auf einem der Schiffe wartet, wird gemeldet, dass man auf 2.500 deutsche Soldaten gestoßen ist – was aber überhaupt nicht stimmt, denn Aitkens Invasionsheer ist von nur 250 Askaris angegriffen worden. Im Grunde stochern Aitken und seine Offiziere völ- lig im Dunklen, da sie es nicht für nötig gehalten haben, die deutschen Stellungen auszukundschaften oder über- haupt irgendwelche Informationen über ihren Gegner zu beschaffen. Die Briten wissen gar nicht, wie klein die Truppe Lettow-Vorbecks ist, die Tanga verteidigt. Den Vorschlag, Tanga von See aus zu beschießen, um die Deutschen zu schwächen, lehnt Aitken ab. Offiziell, weil er keine Zivilisten töten will, in Wirklichkeit aber, weil er nicht die geringste Ahnung hat, wo sich der Gegner überhaupt verschanzt hat. Die deutschen Verteidigungs- linien sind relativ elaboriert, wenn man bedenkt, wie wenig Mittel Lettow-Vorbeck zu Verfügung stehen. Die einzelnen Stellungen sind durch Feldtelefone miteinander verbunden, was ein koordiniertes Vorgehen erleichtert. Stacheldraht ist verlegt, MG-Posten sind aufgestellt und Heckenschützen verstecken sich in den Bäumen, Büschen und den mannshohen Getreidefeldern. Der nächste britische Vorstoß kommt abermals von Land. Aitken bringt jetzt nicht nur seine gesamte Streit- macht zum Einsatz, sondern er positioniert seine besten
„Es sind die schlechtesten Truppen von ganz Indien. Ich schaudere bei dem Gedanken daran, was passieren wird, wenn wir auf ernsthaften Widerstand treffen. Die höheren Offiziere sind eher Fossilien als aktive und energische Anführer.“ Colonel Richard Meinertzhagen (1878–1967), Chef der britischen militärischen Aufklärung im Feldzug gegen die Deutschen in Ostafrika, über die Soldaten Arthur Aitkens – womit er sie weitaus realistischer einschätzt als ihr eigener Kommandeur
lässt das Hafenbecken nach Minen absuchen. Allerdings finden seine Matrosen dort nur rostige Öltonnen, alte Stie- fel und anderen Schrott. Es gibt gar keine Minen, aber die Deutschen haben abermals Zeit gewonnen, um sich auf den Kampf vorzubereiten und Truppen nach Tanga zu schaffen … Immerhin: Kapitän Caulfield schafft es, Aitken davon zu überzeugen, dass es besser wäre, etwas weiter abwärts der Küste – außer Sichtweite der nun vorgewarnten Stadt – anzulanden. Dumm ist nur, dass niemandem auffällt, dass sich hier ein dichter Mangrovensumpf voller Wasser- schlangen, Moskitos, Blutegel und anderem üblem Getier befindet. Es ist so ziemlich der schlechteste Ort, den man sich für eine Invasion aussuchen kann. Doch genau in diesen Morast jagt Aitken die seekranken Soldaten – er ist
DER „LÖWE VON AFRIKA“: Paul von Lettow-Vorbeck (1870–1964), Kommandeur der Schutztruppe, wird als Verteidiger Deutsch-Ostafrikas berühmt. Er kann eine Niederlage der Kolonie gegen die Briten verhindern – mit einem konsequent geführten Guerillakrieg entzieht er sich immer wieder dem Gegner. Sein Ziel ist es, möglichst viele britische Truppen zu binden, die dann auf dem europäischen Kriegsschauplatz fehlen. Er kapituliert erst am 25. November 1918 in Rhodesien Abb.: picture alliance
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