SEEMANNSCHAFT & BORDLEBEN
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ehen Sie, so ein Hochsee-Fischdampfer ist ja in ers- ter Linie ein Arbeitsschiff, dafür gebaut, bei jedem Wetter den Fischfang im hohen Norden durchzufüh- ren. Von daher muss es ein äußerst seetüchtiges Schiff sein, und das sind sie, sowohl die Logger als auch die Trawler. Die sind wie die Bergziegen, klettern am Wellenberg hoch, und oben angekommen schütteln sie sich kurz, und dann rutschen sie hinunter ins nächste Wellental, ohne dass es ihnen viel ausmacht.“ „Das hört sich an, als seien sie unverwüstlich“, warf der Interviewer ein. „Nein, ganz so ist es nun doch nicht.“ Der Kapitän schüttelte den Kopf. „Es gibt durchaus Momente, da wird das Schiff auf dem falschen Fuß erwischt; wenn der Trawler bei schwerer See in ein kurzes Wellental rutscht und der Bug nicht früh genug wieder hochkommt, dann kann es passieren, dass der nächste, tonnenschwere Brecher ihn unter Wasser drückt. Im günstigs- ten Fall zerschlägt es ihm das Fanggeschirr, aber im ungüns- tigsten …“ Der Kapitän stockte, redete dann aber schnell wei- ter: „Das Gleiche ist natürlich auch möglich, wenn das Schiff bei zu schwerer See vor dem Wind läuft. Trotzdem bin ich überzeugt, dass dieser Typ Schiff das Seetüchtigste ist, was die „Oh ja.“ Kapitän Sierck entlockte seiner Pfeife aufgeregte Dampfwolken. „Die Johannes Krüss war sozusagen der Idealtyp des Hochsee-Fischdampfers, auf dem Schnelligkeit, Schleppvermögen, Seetüchtigkeit, Fassungsvermögen und nicht zu vergessen die Mannschaftsunterkünfte in geradezu idealer Weise vereint waren. Das betraf auch die Brücke; die war mit dem Modernsten ausgestattet, was Navigation und Fischerei kannten: zwei Radargeräte an Bord, ein Long-Range- Gerät zur Ortsbestimmung in den Gebieten um Grönland und Werften hervorgebracht haben.“ „So etwas wie Ihren Trawler?“
„Öl natürlich.“ Ein entrüsteter Blick traf den Frager. „Nach Einbeziehung aller Faktoren hatte sich die Reederei Carl Kämpf zu einer ölbeheizten Kesselanlage entschlossen, nämlich zu einer gekapselten Dreifachexpansions-Dampf- maschine mit einer Abdampfturbine System Bauer-Wach. Hinsichtlich Kostenfrage, Lebensdauer des Schiffes, Repara- tur und Ersatzteilbeschaffung sowie Bedienungs- und Per- sonalfrage hielt die Reederei das für die beste Lösung. Hat sich ja auch weitgehend bestätigt. Die Maschine brachte 1.250 Wellen-PS auf die Schraube, das reichte für 13 Knoten, also 24 km/h.“ „Und was war die Ausbeute einer Fangreise?“ „Wenn die Last voll war, dann hatten wir 6.300 Korb gleich Zentner, also 315 Tonnen Fisch an Bord. Dafür waren wir dann drei bis vier Wochen auf See. Der Anmarschweg bis zum Ostrand Labradors beträgt etwa 2.420 Seemeilen, die müssen wir ja auch wieder zurück, und da bleibt nur knapp eine Woche reine Fangzeit.“ „Herzlich wenig.“ Der Journalist sah von seinen Notizen auf. „Wie war das denn mit dem Grönland-Dampfer Hans Hedtoft , da waren Sie doch mit Ihrem Dampfer an einem Rettungseinsatz beteiligt. Erzählen Sie mal!“ „Ja, das waren wir.“ Kapitän Sierck zündete bedächtig seinen Pfeifenknaster neu an. Sein Blick wanderte hinüber zur Alten Liebe, die gerade ein Heckfänger der Nordsee- Reederei passierte. Ein Lotsenversetzboot schor heran, holte sich einen Korb frischen Seefisch ab und steuerte dann seinen Liegeplatz an der Cuxhavener Hafeneinfahrt wieder an. „Das war Ende Januer 1959. Am 23. hatten wir Bremer- haven verlassen; an einem Freitag, wenn ich mich recht erinnere. Mit Wochenende daheim bei Muttern war schon malnix…“ apitän Sierck trat aus dem Ruderhaus und beugte sich über die Brückenreling. Sein Blick wanderte prüfend über Vor- und Achterdeck, fand aber nur ein zur Abfahrt bereites Schiff. „Los de Liens!“ Die Leinen klatschten ins Wasser und wurden eingeholt, rüttelnd begann die Maschine zu arbeiten und ließ die Schraube das brackige Hafenwasser aufwirbeln. Von der Pier losgelöst, strebte die Johannes Krüss der Hafeneinfahrt zu, begleitet von den besten Wünschen der zurückgeblie- benen Angehörigen und Freunde und von so manchem Tränchen, das verstohlen aus den Augenwinkeln gewischt wurde. Die Fangreise sollte erstmalig in die Gewässer west- lich Grönlands gehen – eine raue, unwirtliche Gegend, und da wusste man nicht, wann man sich wiedersah; und ob man sich überhaupt wiedersah! Mit Passieren der Hafeneinfahrt stemmte sich eine eisige, steife Brise dem Trawler entgegen, und die winterliche Nordsee zeigte dem Skipper auch sofort, wer hier das Sagen hatte. Aber das für solche Wetterverhältnisse gebaute Schiff boxte sich mit seinen 1.250 PSw scheinbar mühelos gegen Brise und gischtend anrennende Seen, sein scharfer Steven zerschnitt wie eine Pflugschar die schäumenden Wogen, die er zu beiden Seiten fast schon spielerisch verdrängte. Je wei- ter das Schiff in die Nordsee vorstieß, umso härter wurden die rauen Seen. Sie hoben und senkten den stabilen Rumpf, wuschen dann mit ihren salzigen Fluten zu beiden Sei- K
„Wie war das denn mit dem Grönland- Dampfer Hans Hedtoft ? Da waren Sie doch an dem Rettungseinsatz beteiligt!“ Der Journalist will mehr von Kapitän Sierck wissen
den noch weiter entfernten Fangplätzen sowie ein Schreiblot, das den Meeresboden und die Fischschwärme auch in grö- ßeren Tiefen bis 500 Meter grafisch fortlaufend anzeigt. Krei- selkompass, Funkstation, Gegensprechanlage für alle Räume; alles vorhanden, was man für einen 4.000-Meilen-Törn in gefahrvolle Seegebiete braucht.“ „Sie erwähnten noch die Mannschaftsunterkünfte.“ Der Wissensdurst des Gastes war enorm. „Richtig. Die Leute waren im Achterschiff untergebracht, nicht mehr wie früher im Vorschiff unter der Back. So kamen sie ohne nasse Füße aus ihrem Logis zum Essen in die Messe; die war auch achtern. Während der Hin- und Rückreise brauchte überhaupt niemand mehr über Deck, dafür gab es einen Betriebsgang zwischen Brücke und Hinterschiff. Sie sehen also, es hat sich einiges getan in der Hochseefischerei.“ „Und was fuhr Ihr Dampfer – Kohle oder Öl?“
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