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Männern war’s recht, vertrauten sie doch Lüdeckes berühm- ter Nase, die sicher auch diesmal den richtigen Weg finden und den lauernden britischen Kreuzern ein Schnippchen schlagen würde. Sie wurden nicht enttäuscht, auch nicht vom Wettergott, der ihnen während der Zeit in den Feuer- land-Kanälen immer dienstbereit zur Seite gestanden hatte. Als am nächsten Tag die Dresden gemeinsam mit dem Tross- schiff Sierra Cordoba die schützende Bucht verließ, herrsch- te ein geradezu wütender Schneesturm, der Schnee und Regen waagerecht durch die Kanäle peitschte und keine hundert Meter Sicht zuließ. „Ausgezeichnet!“ freute sich der Kommandant. „Wie bestellt.“ Genau das Wetter, das er sich für den Ausbruch gewünscht hatte. Meter um Meter schlich sich der Kreuzer vorwärts, gerade mal mit so viel Fahrt, dass er steuerfähig blieb. Der Navigationsoffizier und das gesamte Steuermannspersonal waren mit Stoppuhren und Ferngläsern an der Arbeit, um die Untiefen und engen Windungen ohne Schäden zu pas- sieren. Im letzten Büchsenlicht schwamm der Rumpf wieder im Seetang, und der Navigationsoffizier konnte der Brücke melden: „Wir sind durch!“ Vor ihnen lag die offene See, der Pazifische Ozean. Ge- schafft! Sie waren der Gefangenschaft der bewachten Kanä- le Feuerlands entronnen, sie fuhren wieder zur See. Fuhren mit ökonomischer Fahrt auf einem Kurs 200 Meilen vor der Westküste Chiles nach Norden und erreichten am 19. Feb- ruar den Track von Valparaiso nach Australien. Und hier fanden sie endlich ein Schiff. Aber keinen der sehnlichst herbeigewünschten Kohlendampfer, sondern einen Wind- jammer mit 2.400 Tonnen Gerste in den Laderäumen. Also wieder nichts mit Kohlen bunkern. Am 8. März dann end- lich, aus einer Nebelbank herauskommend, ein Dampfschiff. Aber eines mit drei Schornsteinen – den britischen Panzer- kreuzer HMS Kent ! „Klar Schiff zum Gefecht!“ was der Chief mit seinen Männern aus den gequälten Ma- schinen noch heraus holte, denn die verfolgende Kent wurde auch im Fernglas immer kleiner und bei Anbruch der Nacht waren ihre Masten schon unter der Kimm verschwunden. Aber der Leitende hatte wirklich das Letzte aus den Maschi- nen herausgeholt, gegen Morgen lief Dresden nur noch 20 Knoten. Kent holte wieder auf und Kapitän Lüdecke sah nur noch einen Ausweg – die Internierung auf der Robinson- Insel Mas a Tierra auf dem nahen Juan-Fernandez-Archipel. Am Morgen des 8. März lief die Dresden dort in die Cum- berland Bay ein, eine fast kreisrunde Naturhafenbucht vul- kanischen Ursprungs, und ankerte etwa 400 Meter vor der Küste. Dem bald an Bord kommenden Hafenkapitän erklär- te der Kommandant, dass er sich mit seinem Schiff inter- nieren lassen wolle, da das Schiff nicht mehr gefechtsfähig und auch nur bedingt fahrbereit sei; was der Señor Capitan de Puerto durch einen Sachverständigen gerne überprüfen lassen könne. Der sah das Dilemma des deutschen Kom- A ber erstmal gab Lüdecke Fersengeld. Gegen die 15-cm-Geschütze des Panzerkreuzers sah er keine Chance und LI Stein schaffte es sogar, mit seinen maroden Maschinen dem mit 24 Knoten heran- stiebenden Briten davonzulaufen. Erstaunlich,
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Die Besatzung wurde in Chile interniert, manchen gelang es später zu fliehen Foto: picture-alliance/ SZ-Photo/Scherl
Westküste durchzubrechen, um in den Gewässern Nieder- ländisch-Ostindiens Kreuzerkrieg zu führen, was er auch seinen Offizieren in einer eigens zu diesem Zweck angesetz- ten Sitzung mitteilte. Verdutzt sahen sich die Offiziere an, der Leitende Inge- nieur Wilhelm Stein ergriff als Erster das Wort: „Mit unse- rer Maschinenanlage? Unmöglich, Herr Kapitän! Die ist mit dem Wort ‚Bruchladen‘ bestens beschrieben. Wenn Sie einen Schrotthändler wissen, ich verscherble unseren Dampfer sofort.“ tarker Tobak, aber der Chief konnte sich das erlau- ben. Er wusste, der Kommandant schätzte ein offe- nes Wort. Und er setzte hinzu: „Aber an uns soll’s nicht liegen, Herr Kapitän. Wenn Sie uns aus dem Fuchsbau hier herausbringen auf die offene See, gebe ich Ihnen letzten Endes recht.“ Die anderen Offiziere sahen das ebenso. Wenn sie irgend- wo noch eine Chance hatten, dann in der Südsee mit ihren unzähligen Inseln und Verstecken. Und Kohlenfrachter würde man dort sicher auch erbeuten können. Lüdecke kabelte seine Absicht nach Berlin und erhielt am 10. Febru- ar die Antwort: Der Admiralstab hielt eine Kohlenzufuhr nach dem Stillen und dem Indischen Ozean für nicht mach- bar und empfahl die Heimreise durch den Atlantik auf dem Segelschiffsweg. Das aber wollte Lüdecke nicht. Er war sich darüber im Klaren, dass die Entdeckung seines Schiffes durch einen der britischen Kreuzer nur noch eine Frage der Zeit sein konnte; einer kurzen Zeit, wie er sich gut vorstellen konnte. Denn die Briten hatten sich im Gebiet um Feuerland festgesetzt und taten ganz so, als ob sie hier zuhause wären. Sie versorgten in chilenischen Häfen ungeniert ihre Kreuzer mit allem Nötigen, taten also all das, was sich die Deutschen aus Achtung vor der Neutralität Chiles versagten, oder schlichtweg nicht durften. Dass das auf die Dauer nicht gut- gehen konnte, lag auf der Hand, und am Abend des 13. Feb- ruar schrillte der Pfiff der Bootsmannspfeife durch die Decks: „Alle Mann achteraus!“ Kapitän Lüdecke war nicht der Mann vieler Worte. Er erklärte der auf dem Achterdeck angetretenen Besatzung, dass nun die Zeit des Wartens vorbei sei und er seeklar befohlen habe. Morgen früh würden die Kessel gezündet und dann ginge es zum Kreuzerkrieg in die Südsee. Den S
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