Schiff Classic

Sie klangen wie der letzte Notschrei. Und dann war Stille, es war aus. Wir sind immer noch tief erschüttert, dass unsere Suche so gar keinen Erfolg hatte. Nach den FT’s, die wir empfangen hatten, mussten wir doch annehmen, dass die Hans Hedtoft in der Lage war, sich selbst noch eine Weile über Wasser zu halten. Bei dem Unwetter und der wilden See konnten wir nicht schnell genug heran. Ich muss meiner größten Bewunderung Ausdruck ver- leihen über die Tapferkeit und die eiskalte Ruhe des Funkers der Hans Hedtoft . Er hat offensichtlich das Not- gerät benutzen müssen, weil das Wasser den Maschinen- raum überflutet hatte, wodurch die Anlagen für die FT ausfielen. Trotzdem hat er in den drei Stunden, die ich mit ihm in Verbindung stand, vollkommen ruhig und mit größter Exaktheit gearbeitet. Bis zur letzten Sekunde. Er hat die ganze Zeit über die genaue Position angeben kön- nen, ich meine jene Position, die ihm von der Brücke gesagt worden war. Nicht eines seiner Morsesignale ver- riet Angst oder gar Nervosität, eine unwahrscheinliche menschliche Leistung. Wir werden ihm immer den größten Respekt für diese beispiellose Tat auf See und ange- sichts des sicheren Todes bewahren.“ „Und wie erreichten Sie die Unfallstelle mit der Johan- nesKrüss ?“ Der Funker holte tief Luft und ließ die Ereignisse noch einmal vor seinem inneren Auge vorbeiziehen: „Am Freitag um 18:30 Uhr sind wir von unserem Kurs abgewichen, um der Hans Hedtoft auf das erste Notsignal hin zu Hilfe zu eilen. Wir befanden uns etwa 25 bis 30 Seemeilen östlich von der angegebenen Unglücksstelle. Es war furchtbares Wetter, Windstärke zehn bis elf, Hagel und Schneeböen behinderten die Sicht. Treibeis und Eisberge bedrohten die Fahrt, dazu das Dunkel der Polarnacht. Während der ganzen Zeit hielten wir mit der Hans Hedtoft Verbindung. Dann habe ich dem Kameraden, dem ich mit Taste und Kopfhörer so nahe war, den Rat gegeben, sie sollten Notsig- nale ausschicken. Haben sie auch getan, aber wir konnten nichts sehen. Die Finsternis war undurchdringlich. Außer- dem kann man von einem sinkenden Schiff, das von der hochgehenden See hin und her geworfen wird, Notraketen nicht mehr gerade zum Himmel aufsteigen lassen. Etwa um die gleiche Zeit, zu der wir die letzte Meldung erhielten, sind wir an der Unglücksstelle gewesen und haben sie mit allen Mitteln abgesucht. Aber wir konnten gar nichts sehen, unsere Scheinwerfer kamen nicht durch. Und plötzlich hatten wir einen Eisberg unmittelbar vor uns, von allen Seiten bedrohten uns andere. Das Schiff war in höchs- ter Gefahr. Wir waren gezwungen, unsere Position aufzuge- ben und uns für die schlimmsten Stunden der Nacht aus dem Eisgebiet zu lösen. Am nächsten Tag haben wir sofort wieder mit der Suche begonnen, als die Dunkelheit nachließ. Das Wetter hatte sich gebessert. Im Laufe des Samstags haben wir das Seege- biet von 15 mal 25 Seemeilen nach allen Richtungen immer wieder durchkämmt. Wir fanden nichts – kein Boot, keine Überlebenden. Nur eine Planke, grau gestrichen, schwamm an uns vorbei und war nicht zu greifen. Sie war etwa einen Meter groß und wahrscheinlich ein Stück der Hans Hedtoft . Wir kreuzten gerade südlich der letzten Position der Hans Hedtoft , bis zum Abend haben wir weitergesucht. Und hier

Dazu die Eismassen. Zur Zeit des Unglücks war das grön- ländische Eis infolge der orkanartigen Nordwinde im ra- schen Vordringen nach Süden begriffen, was auch negative Folgen für die anderen an der Suchaktion beteiligten Schiffe haben würde. Um 21 Uhr rief Nejedlo noch einmal die Funkstation des Dänen und bat um Peilzeichen, erhielt aber keine Antwort. Für 21:06/21:07 Uhr notierte der Funker: „Höre auf 500 kHz schwache und teils verzerrte ,A2‘-Striche und rufe auf Telefonie: Hans Hedtoft , sind Sie das? Keine Antwort.“ Um 21:08/21:09 Uhr: „Höre wieder einige schwache und teils verzerrte ,A2‘-Striche, rufe wieder Hans Hedtoft , sind Sie das? Wieder keine Antwort.“ Soweit der Funkverkehr am 30. Januar 1959 zwischen dem Funker Rudolf Nejedlo und seinem dänischen Kolle- gen an Bord der sinkenden Hans Hedtoft . Das Drama in der eisigen See vor der Südspitze Grönlands hatte sich voll- zogen, der deutsche Funker hatte auf seine letzten Rufe keine Antwort mehr bekommen. Es ist aber nicht aus- zuschließen, dass die letzten, verzerrten Morsezeichen tat- sächlich von dem sinkenden dänischen Schiff gesendet wur- den. Wenn dem so war, dann hatte der dänische Funker auf dem Grönlandschiff buchstäblich bis zur letzten Sekunde, den Tod vor Augen, auf seinem Platz im Funkraum ausge- harrt. Ein Berufsethos, das seinesgleichen sucht.

udolf Nejedlo schilderte später einem dänischen Korrespondenten der Zeitung Politiken dieVor- gänge während der Suchaktion: „Wir suchten im dichten Schneesturm, bei haushohen Wellen nach einer Spur des dänischen Schiffes. Wir fuhren hin und her. Nichts war zu sehen, nichts. Plötzlich hatten wir einen Eisberg im Scheinwerfer. Fast wären wir selbst an einem solchen Giganten zerschellt, denn Schnee und Sturm hatten die Radargeräte lahmgelegt. Der von wilder Brandung umtoste Koloss schwamm unmittelbar voraus. Vielleicht hätten wir den Eisberg unter normalen Umständen bei einem solchen Wetter und ausgefallenem „Dann sind wir von unserem Kurs ab- gewichen,um der Hans Hedtoft aufdas erste Notsignal hin zu Hilfe zu kommen“ Doch noch ein Hoffnungsschimmer? R

Radar gar nicht oder viel zu spät gesehen. Wir wären aufge- brummt und hätten womöglich nicht einmal mehr eine SOS-Meldung senden können. ,Verschollen‘ hätte es dann geheißen. So aber waren alle Seeleute an Deck und auf der Brücke, um zu suchen. Der Ausguck war vielfach besetzt und die Angst, in der See Überlebende zu übersehen, war größer als die um das eigene Ich in diesem verdammten Hexenkessel. Es kam alles riesenschnell für uns und vollkommen un- erwartet. Drei Stunden hatte ich die Signale der HansHed- toft im Ohr. 15 Funksprüche, dann noch zwei lange Töne.

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