KATASTROPHEN ZUR SEE
VOR 90 JAHREN: UNTERGANG DES SEGELSCHULSCHIFFES NIOBE
Im Juli 1932 kenterte vor Fehmarn das Segelschulschiff der Reichsmarine in einer plötzlich auftretenden Gewitterbö und sank innerhalb kürzester Zeit. Fast eine gesamte Crew junger Offizieranwärter kam dabei ums Leben Von Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann Sieger blieb das Meer
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Die Marineführung setzte viel daran, ein fachlich exzellentes und zuverlässiges Offizier- und Unter- offizierkorps heranzubilden; zum einen wurden die angehenden Vor- gesetzten in Schulen an Land unter- richtet und zum anderen in Lehr- gangsabschnitten auf See. So bildete das Training auf dem im Jahr 1922 von der Marine erworbenen und zur Dreimast-Schonerbark umge- bauten Segelschulschiff Niobe einen integralen Bestandteil der Gesamt- ausbildung aller angehenden Offi- ziere und einiger Unteroffiziere be- stimmter Fachrichtungen. Am 1. Juli 1932 schifften sich die Offizieranwärter der Crew 32 und
äher an die Rettungsboote heran! Näher an das auf mich zu haltende Motor-
schiff! Schwimmen – schwimmen – schwimmen! Die See ist aufgewühlt – durchhalten, bloß nicht schlapp machen! Ein Kamerad, dem die Kräfte schwinden – helfen, heran- ziehen, gemeinsam weiter! Ein Ret- tungsboot – Hände, die uns an Bord ziehen! Gott sei Dank – gerettet! Im Wasser spielen sich an jenem schicksalhaften 26. Juli 1932 ent- setzliche Szenen ab, es ist ein Kampf ums nackte Überleben. Am Ende schaffen es nur 39 Mann, darunter sieben, die sich zum Zeitpunkt des Kenterns der Niobe im Schiffsinne-
MALERISCHE KULISSE: Niobe und das Linienschiff Schlesien in der Flensburger Förde vor der Marineschule Mürwik, der bis heute zentralen Ausbildungsstätte für Marineoffizieranwärter Foto: picture-alliance/WZ-Bilddienst
ren aufhielten. 69 Mann fehlen, unter ihnen 36 Offizieranwärter. Für sie gibt es keine Rettung mehr. „Ist mir sehr nahegegangen“ Den Schock vermochte Admiral Erich Rae- der, seit 1928 Chef der Marineleitung, nur schwer zu verbergen. Als das Segelschul- schiff Niobe bei herrlichem Sommerwetter in einer völlig unerwartet auftretenden Bö („Weiße Bö“) in der Ostsee sank, verlor die Reichsmarine nicht nur hoffnungsvollen Offiziernachwuchs und ein wertvolles Schiff, sondern auch einen Teil ihrer in Jahren har- ter Arbeit mühsam erworbenen Identität. „Der Verlust dieser jungen Menschenleben ist mir sehr nahegegangen, wenngleich der Seemann stets mit Opfern rechnen muss, die der nie aufhörende Kampf mit den Natur- gewalten immer wieder fordert.“ Der Untergang bedeutete einen erheb- lichen Rückschlag in der Ausbildung des Marineoffizier-Nachwuchses, die neben der allgemeinen Existenzsicherung der Reichs- marine eine der Kernaufgaben des Marine- chefs war. Der Versailler Vertrag hatte die ehemaligen kaiserlichen Streitkräfte zu Lan-
de und zu Wasser personell stark einge- schränkt. Rüstungsbeschränkungen sollten zudem ein erneutes Aufkeimen des deut- schen Militarismus langfristig verhindern. Zwar blieb der Bestand der Marine nach 1919 vertragsmäßig generell gesichert, aber das Offizierkorps, wenige Jahre zuvor noch die Elite des Kaisers, litt erheblich unter den Beschränkungen und sann – wie die meis- ten gesellschaftlichen Schichten der Weima- rer Republik – auf die Revision des „Frie- densvertrages“. „Da fällt plötzlich eine wilde Bö ein. Man sah sie nicht kommen,man hörte sie nicht. Sie fiel wie ein Stein“ Der Matrose Korth, später Kapitän zur See, in einem Brief an seine Mutter (undatiert)
einige Unteroffizieranwärter auf der in Kiel liegenden Niobe ein, um dort ihre Segel- vorausbildung zu absolvieren, bevor es am 24. Juli erstmalig „auf große Fahrt“ in die östliche Ostsee gehen sollte. Bis dahin hieß es an der Pier: Segel setzen, Segel bergen und aufentern – und sich an das enge Zu- sammenleben an Bord gewöhnen. Nach dem Auslaufen übten die Anwärter zahlreiche Segelmanöver, ihr Schiff ankerte am 25. Juli westlich von Fehmarn, wo am 26. Juli der Anker wieder gelichtet wurde. Unter vollen Segeln fuhr der ehemalige Frachtensegler ostwärts bei südöstlichen Winden der Stärke vier bis fünf. Kurz nach 12 Uhr wendete die Niobe auf südöstlichen Kurs und auf Steuerbordbug. Das Feuer- schiff Fehmarn befand sich voraus in Sicht. Ein ganz gewöhnlicher Tag Es ist kurz vor 2 Uhr mittags. An der Nord- küste Fehmarns steht die Schulklasse von Lehrer Wilhelm Björnsen, um das neue Flug- boot DO X, das den Fehmarnbelt passieren sollte, zu betrachten. Die Schüler und der Lehrer sind von dem neuesten technischen Wunderwerk fasziniert. Ebenso begeistert
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