KATASTROPHEN ZUR SEE
dort können sich die jungen Män- ner nicht mehr befreien. Verzwei- felt kämpft jeder um Halt gegen das steigende Wasser. Nur einer schafft es, aus diesem Raum an Oberdeck zu gelangen – dort sackt ihm das Schiff aber unter den Füßen von achtern her weg. Sekunden später ragt nur noch der Klüverbaum aus dem Wasser, bevor er in der aufge- wühlten See untergeht. Die Niobe versinkt innerhalb von knapp zwei Minuten im Belt. Von der Nordküste Fehmarns aus erlebt die Schulklasse mit ihrem Lehrer die Katastrophe hautnah mit. Alle sehen, wie sich das Schiff immer mehr neigt und kentert. Fassungslos und benommen be- obachten sie, wie Rettungsboote
sind sie, als sie außerdem das ele- gant dahingleitende Segelschul- schiff Niobe entdecken. Voller Bewunderung betrachten auch die Besatzungsangehörigen der Niobe das Flugboot, das in ei- niger Entfernung – in dunkle Ge- witterwolken eingehüllt – vorbei- fliegt. Um Punkt 14 Uhr beobach- ten Lehrer Björnsen und seine Schulklasse auf Fehmarn die Niobe noch immer. „Unser stolzes Schiff der Reichsmarine“, sagt der Lehrer seinen Schülern. Die Segelbark wendet von Steuerbordbug auf Backbordbug. Das Unglück … Zeitgleich erschallt ein Pfiff an Bord der Niobe : „Antreten zum Dienst.“
SPLEISSEN UND KNOTEN: Unterricht von Kadetten auf der Niobe , die dort nicht nur das Seemannshandwerk lernten, sondern auch die Ehrfurcht vor Wind, Wetter und Wellen Foto: picture-alliance/arkivi
des Feuerschiffes Fehmarn zu der Unglücks- stelle eilen. Ein nahes Motorschiff, der Holz- dampfer Theresia L. M. Russ , hat den Kurs geändert und fährt mit Höchststufe und Rettungsbooten zur Untergangsstelle. Hebung des Wracks Am 30. Juli wurde die Niobe mithilfe des He- bekrans Hiev um einige Meter gehoben und auf diese Weise unter Wasser bis in die Kieler Förde geschleppt. Dort traf das Wrack am 15. ein und wurde am 19. August in der Heikendorfer Bucht vollends gehoben. Nach umfangreichen Abdichtungsarbeiten gelang es schließlich, in das Innere des Schiffes vor- zudringen. Allein aus dem Unterrichtsraum wurden 30 Leichen geborgen. Am 23. August 1932 nahm die Marine un- ter großer Anteilnahme der gesamten Re- publik auf dem Garnisonsfriedhof (heute: Nordfriedhof) in Kiel Abschied von den To- tender Niobe . 33 Tote fanden dort ihre letzte Ruhestätte, 17 Tote überführte man in ihre
Die Steuerbordwache macht sich klar zum Manöver, um die Obersegel zu bergen, nachdem das Schiff auf den anderen Bug gewendet hat. Der Kommandant, Kapitän- leutnant Heinrich Ruhfus, hat sich hierzu entschlossen, da er eine Wetterverschlechte- rung erwartet. Die Bachbordwache versam- melt sich zum selben Zeitpunkt im hinteren Mannschaftswohnraum zum anstehenden Segelunterricht. An Bord der Niobe ist gegen 14:20 Uhr das Bergen der Obersegel beendet. Nun müssen noch die Steuerbordbrassen durch- gesetzt werden. Doch plötzlich setzt heftiger Wind ein und legt das Schiff auf die Seite. Statt sich wieder aufzurichten, verharrt es in dieser Lage, die Segel nähern sich mehr und mehr der Wasseroberfläche – und schla- gen auf. Binnen Sekunden strömt Wasser durch die Niedergänge in das Schiffsinnere. Den Befehl des Kommandanten: „Klar bei Schwimmwesten“ können nur noch weni- ge befolgen. … nimmt seinen Lauf AnBord der Niobe sitzen die Angehörigen der Backbordwache im hinteren Mann- schaftsdeck beim Segelunterricht auf dem Boden – Stühle gibt es nicht –, als sich das Schiff mehr neigt als sonst üblich. Alle rut- schen auf dem glatten Linoleumdeck in die hinterste linke Ecke – Wasser dringt durch das geöffnete Oberlicht in den Raum. Von
„Es war vorgestern eine Katastrophe, wie sie wohl die Deutsche Reichsmarine seit langer Zeit nicht
mehr erlebt hat“ Aus dem Brief des Matrosen Jürst an seine Eltern am 28. Juli 1932
SCHLECHTES OMEN? AmTag des Untergangs der Niobe ,hier an der Blücherbrücke in Kiel, gab der neue Reichswehrminister, General Kurt von Schleicher, bekannt, dass sich Deutschland nicht mehr an die Bestimmungen des Versailler Vertrages gebunden fühlte Foto: picture-alliance/WZ-Bilddienst
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