PHÄNOMENE & KURIOSITÄTEN
Viele Küstenabschnitte sind bis heute natur- belassen. Das hat zur Folge, dass die Dichte an Stran- dungswracks hoch ist. Mit Google Earth sind Schiffs- reste leicht auszumachen. Immer wieder lässt der Kapitän das Lot sin- ken. Die Gewässer südlich der Kadetrinne sind tückisch. Manchmal hat man kaum zwei abschnitte bis heute naturbelassen. Das hat unter anderem zur Folge, dass die Dichte an Strandungswracks erheblich höher ist. Tat- sächlich lassen sich diverse Schiffsreste ganz einfach mit Google Earth lokalisieren. In Nienhagen, einem kleinen Seebad zwischen Bad Doberan und Rostock, ist es schon etwas schwerer. Hier ist der helle Sandgrund mit zahlreichen kleinen Steinfeldern durchsetzt. In einem liegt, umringt von Steinen und Miesmuscheln, ein altes Holzwrack. In einem antiquarischen Buch über Wrackfundorte in der Ostsee wird das Schicksal der Brigg Nis- sen beschrieben, die 1884 auf dem Weg von Norwegen nach Estland auf dieser Sandbank gestrandet ist. Steinfelder vor Mecklenburg 67$1'$5'ȝ7<3 Die Brigg war im 19. Jahr- hundert ein erfolgreiches Transportschiff Foto: Horst Szymanski Meter unter dem Kiel. Der norwegische Rah- Segler ist mit einer Ladung Holz auf dem Weg nach Estland. Doch er wird sein Ziel nie erreichen. Der Steuermann hält auf das Warnemünder Kohlefeuer zu. Immer wieder wird es von dem Landvorsprung Stolteraa verdeckt. Und so soll dieser 22. November 1884 das Schicksal der Brigg Nissen besiegeln. Ein lau- tes Kratzen zerreißt den leichten Nebel. Der gut 40 Meter lange Zweimaster hat Grund-
DOKUMENTARISCHE ERFASSUNG: 150 Jahre nach dem Untergang ist von dem einst stolzen Segler Nissen noch einiges erhalten Foto: Elmar Klemm 0 Jahre nach dem Untergang
berührung. Schnell wird der Anker herab- gelassen. Doch zu spät. Mit jeder Welle wird das Schiff näher an den Strand gedrückt, bis es schließlich in einem Steinfeld hängenbleibt. Hier liegt es heute noch. Nach der Drehung über den Anker mit dem Bug nach Westen, der Richtung, aus der es gekommen ist. Über viele Jahrzehnte trägt die Brandung den Rumpf immer mehr ab. 150 Jahre später sind von dem einst mächtigen Segler nur noch die Spanten und Bodenplanken erhal- ten. Selbst geübte Taucher müssen sehr genau hinschauen, um die alten Hölzer zwischen
den dunklen Steinen zu erkennen. An meh- reren Stellen ragen noch leuchtende Kupfer- nägel aus dem Holz. Bis vor einigen Jahren lag am vermeintlichen Heck auch noch das Ruderblatt. Das mit Eisenbeschlägen ver- stärkte Bauteil hat mit fünf Metern Länge einen Eindruck vermittelt, wie groß das Schiff einmal gewesen sein muss. Wenige hundert Meter weiter östlich hat bereits das nächste Wrack seine letzte Posi- tion gefunden. Bei der ebenfalls stark abge- tragenen Struktur soll es sich um den deut- schen Schoner Lavina handeln, dem 1881 die Untiefen vor der Steilküste zum Verhängnis wurden. Je nach Dynamik der Sandbänke sind Details wie der Stockanker mit Anker- kette, Kanonenreste und größere Eisenteile mal sichtbar und mal verborgen. Die Reise führt weiter Richtung Osten. Zwischen Rostock und Stralsund liegt der Darß. Diese schmale Halbinsel trennt die Boddengewässer von der Ostsee. Durch seine unmittelbare Lage an der wichtigen Schiff- fahrtsroute von West nach Ost sind an den langgestreckten Sandbänken des Darß immer
wieder Schiffe gestrandet. Historischer Badespaß
Nur wenige Menschen werden je ein Wrack in seinem natürlichen Umfeld zu sehen
DETAIL: Das Ruderblatt der gestrandeten Brigg lässt auf die Größe des Wracks schließen Foto: GfS Rostock
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SCHIFF Classic 6 | 2025
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