Weg für direkten Nachschub aus Österreich und dem Deutschen Reich frei. Eine neue Front in Griechenland erschien daher strategisch wichtiger, ob dieses nun neutral war oder nicht. Italien hingegen war im Mai – als ein Sieg der Entente möglich schien – ins gegnerische Lager gewechselt. Am anderen Ende des Osmanischen Reiches in Mesopotamien wie auch am Suez- Kanal waren inzwischen auch Kämpfe im Gange. In der Golfregion, bei Kut-El Amara, sollten die Briten eine schmachvolle Nieder- lage erleiden; nur ein Überschreiten des Kanals konnten sie verhindern. Viele poli- tisch Verantwortliche in London hatten zu- gleich ihr Amt verloren, allen voran Chur- chill. Auch das liberale Kabinett hatte man- gels Vertrauens eine Koalition mit den Kon- servativen eingehen müssen. Mitte Oktober ersetzte das Kabinett in London Hamilton durch General Charles Monro. Dieser empfahl nach dem Besuch aller Landungszonen die Evakuierung der gelandeten Truppen. Kitchener, der sich vor Ort informierte, stimmte dem zu. Schlechtes Wetter, Unwetter, bei denen viele Soldaten in den Gräben ertranken und Schnee, der zu vielen Erfrierungen führte, machten den Die endgültige Entscheidung zog sich den- noch hin, da viele immer noch nicht bereit waren, die Niederlage einzugestehen: In der Zwischenzeit, so ein Kriegsberichterstatter, „wurde die Armee in den Gräben gelassen, um zu verrotten.“ Während die Landung eine Niederlage war, war der Rückzug ein Sieg. Entgegen ursprünglichen Befürchtungen waren die Verluste sehr gering, als Zehntausende Sol- daten geschlagen in die Boote gingen, dabei alles mitnahmen, was möglich war: Waffen, Munition, Pferde und Esel. Was sie nicht mit- nehmen konnten, machten sie unbrauchbar, Tausende „überzählige“ Pferde und Maul- tiere erschossen sie. Gewehre, die mit einem trickreichen Mechanismus versehen auto- matisch feuerten, verschleierten den Rückzug in den Nächten, Sprengfallen, in die auch einige türkische Soldaten tappten und fielen, verhinderten das Nachrücken des Gegners. Aber auch dieser hatte, soweit er den Abzug überhaupt bei dem schlechten Wetter bemerkte, mittlerweile genug. In mehreren Phasen verließen die Soldaten das Schlacht- feld. Am 20. und 23. Dezember „verschwan- den“ die ANZACs endgültig, am 8. Januar 1916 auch die britischen Einheiten bei Kap Helles. Rückzug noch dringlicher. *O¾FNOLFKHU5¾FN]XJ
aufgrund der U-Boot-Gefahr an die griechi- schen Inseln zurückgezogen. Wassermangel, Myriaden von Fliegen, verwesende Tier- leichen und jede Menge Unrat machten vor allem den Entente-Truppen zu schaffen. Seu- chen waren die Folge. Nur mühsam gelang es, die sanitäre Lage zu verbessern. Gallipoli verwandelte sich innerhalb weniger Wochen in ein „Orientalisches Flandern“, so ein aus- tralischer Kriegsberichterstatter. Es sollten lange dauern, bis beide Seiten – nach extre- men Verlusten – erkannten, dass Angriffe keine Erfolge brachten. Im August, als die Entente bereits 47.000 und die osmanischen Truppen sogar 68.000 Mann an Gefallenen, Verwundeten oder Vermissten zu beklagen hatten, glaubte Hamilton, durch eine Landung an anderer Stelle, bei Suvla, Bewegung in die im Grunde gescheiterte Operation bringen zu können. Vergebens: Auch diese Landung war ein De- saster mit vielen Opfern. Verantwortlich dafür war, wie zum Teil zuvor, die Inkompetenz der Kommandeure, nicht die der ANZACs, die unter furchtbaren Bedingungen in glühender Sonne bei gleich- zeitigem Mangel an Wasser erneut massen- haft starben. Statt Hamilton noch einmal die von diesem geforderten 100.000 Mann Ver- stärkung zu senden, berief die Regierung in London ihn ab. +HUVLQJV9HUVHQNXQJVHUIROJH Doch nicht nur an Land, sondern auch auf, vor allem aber unter Wasser fanden von An- fang an Kämpfe statt. Um den Verteidigern zu helfen, entsandten Hochseeflotte und k.u.k. Marine U-Boote in die Region. Im Mai versenkte U 21 unter Kapitänleutnant Otto Hersing zunächst das alte britische Linien- schiff Triumph und nur zwei Tage später das Linienschiff Majestic . Zuvor hatte das türki- sche Torpedoboot Muavenet-i-Miliye dessen Torpedooffizier Kapitänleutnant Rudolph Firle war, das Linienschiff Goliath versenkt. In der Folge zog de Roebeck alle großen Einheiten auf die griechische Insel Imbros zurück. Aber auch die Entente war erfolg- reich: So gelang es dem englischen U-Boot E-11 durch die Dardanellen zu schlüpfen und im Marmara-Meer elf Handelsschiffe zu ver- senken. Am 23. Mai drang es sogar in den Hafen von Konstantinopel ein, nahm ein Transportschiff unter Feuer, versenkte ein Kanonenboot und beschoss Lagerhäuser. Unversehrt zurück, torpedierte das U-Boot am 6. August zunächst das türkische Torpe- doboot Peyk-Sevket , zwei Tage später das alte türkische Linienschiff Barbaros Hayreddin (ex Kurfürst Friedrich Wilhelm ).
(1'((,1(56&+/$&+7 Eines von sechs Kriegsschifen, die die Entente- Mächte bei den Kämpfen verloren
Foto: picture-alliance/SZ-Photo/Scherl
Auch andere U-Boote versuchten es – mal mit, mal ohne Erfolg, da sie in den Netzen hängen blieben oder nach Minentreffern explodierten. Dennoch: Der türkische Nach- schub wurde durch diese Operationen immer wieder empfindlich gestört. (QWHQWHJHVFKHLWHUW Die heftigen und am Ende ergebnislosen Kämpfe im August ließen beiden Entente- Befehlshabern allmählich die Einsicht reifen, dass das Unternehmen gescheitert war. Eine Pressekampagne in England wie auch in den ANZAC-Staaten erhöhte den Druck. Zudem hatten sich die politischen Rah- menbedingungen geändert: Bulgarien war nach der absehbaren Niederlage Serbiens und dem Durchhalten der Türkei ins Lager der Mittelmächte gerückt. Damit war der Die Verluste des schlecht geplanten und strategisch nutz- losen Unternehmens waren enorm: 187.959 Entente- Soldaten waren gefallen, verwundet oder galten als vermisst. Auch die Verteidiger hatten mit 164.828 Gefallenen, Verwundeten
und Vermissten hohe Verluste.
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