Flugzeug Classic

ZEITGESCHICHTE MEUTEREI DER JAGDFLIEGER

Und Brauchitsch beginnt zu berichten. Davon, daß Göring mit ihm am Morgen nach Jüterbog zu Dahl gefahren ist, eigent- lich, um dem Mann, dessen Geschwader mehr Viermotorige als irgendein anderes abgeschossen hat, das Eichenlaub zum Rit- terkreuz zu verleihen. Göring habe aus der Verleihung einen großen Auftritt mit Presse- begleitung und Wochenschau machen wol- len: Es seien Einflüge auf Berlin gemeldet worden, eine wunderbare Gelegenheit, packende Bilder von Alarmstarts, Schlag- kraft und Führungsenergie zu filmen. Aber Dahl habe die in Jüterbog liegende Gruppe seines Geschwaders nicht starten lassen, weil

tert und beschämt und wollen doch die Blicke nicht abwenden. »Herr Oberst, bitte dringend ans Telefon!« Lützow fährt herum. Das gilt ihm. Wer mag jetzt so nachdrücklich nach ihm verlangen? Es ist Bernd von Brauchitsch, der Chef- adjutant des Reichsmarschalls, ein weiterer der Wenigen noch Lebenden aus Lützows Ausbildungszeit. Bei Truppe und Generalität gilt Brauchitsch als übler Einflüsterer und Strippenzieher; er ist der Kopf jenes hybri- den Gebildes, das Göring selbst gerne als seinen »kleinen Generalstab« preist: einer Handvoll durchaus qualifizierter junger Offiziere, die der Oberbefehlshaber der Luft- waffe rücksichtslos benutzt, um sich seine Wahrheiten zurechtzimmern zu können. Dies zu erkennen, sind sie alt genug; es kon- sequent zu verweigern, fehlen ihnen jedoch Reife und Größe. Und dennoch: Für Günther Lützow ist Bernd von Brauchitsch ein Kamerad; einer, der nicht gänzlich verdorben sein kann von dem Mann, der ihn sich über die Jahre gefü- gig gemacht hat, denn Bernd flog mit ihm schon 1931, als sie alle noch voller Begeiste- rung und ohne Hoffnung waren, aus dem Fliegen je einen Beruf machen zu können, und weiß Gott: Auch er wird Augenblicke haben, in denen er sich wünscht, daß alles einen anderen Weg genommen hätte. Göring will Dahl erschießen lassen »Franzl«, spricht Brauchitsch den Divisions- kommandeur mit seinem Spitznamen an, »wie ist das Wetter bei euch?« »Mittlerweile recht gut«, gibt Lützow ver- dattert zurück, »der Bodennebel hat sich aufgelöst und die ersten Pulks ziehen über uns weg …« „»Franzl, ich stehe in Treuenbrietzen auf dem Gefechtsstand des I. Jagdkorps«, raunt Brauchitsch durch die Leitung, »und wir brauchen deine Hilfe. Jetzt.« »Um Himmels Willen, Bernd – wer ist das: Wir?« »Das ist in erster Linie der Kommodore des JG 300, Major Walter Dahl « »Ich kenne Dahl. Mein Adjutant in Rußland…« »Dahl steht an der Wand. Der Reichsmar- schall will ihn erschießen lassen, weil er den Einsatz seines Geschwaders gegen die Amerikaner wegen schlechten Wetters ver- weigert hat.« »Feigheit vor dem Feind? Ausgeschlossen. Man kann manches über Dahl sagen, aber er ist tapfer. Wenn er seine Leute nicht hinauf- schickt, hat er handfeste Gründe dafür.«

nicht zurückgewichen und nun ginge es kurz und gut um die Frage, ob der Reichsmar- schall ein Exempel an dem Kommodore statuieren werde. Brauchitsch beschwört Lützow, einzuschreiten. Wenn jetzt nichts geschehe, werde ein Standgericht zusammentreten. Lützows Eingreifen Kurz darauf hält Göring ein Fernschreiben von Günther Lützow in Händen. Darin legt Lützow die Wetterlage dar und schreibt: »Von den für den Einsatz eingeteilten 30 Flugzeugführern waren 15 im Besitz von Blindflugscheinen … Von den 15 hatten

Göring hatte Dahl gedroht, die eigenen Jäger von der Flak abschießen zu lassen, weil sie feige seien

nach Meldung des Gruppenkommandeurs vier keine Erfahrung auf Me 109. Die herr- schenden Sichtverhältnisse ließen einen Ver- bandsstart auch der elf voll blindflugfähigen und auf Me 109 eingeflogenen Flugzeugfüh- rer nicht zu. Ein Einzelstart dieser elf Flug- zeugführer wäre ohne weiteres möglich gewesen. Ein Einzelstart der übrigen 19 Flug- zeugführer hätte zu Todesstürzen geführt Grund: keine Sicherheit im Fliegen ohne Horizontalsicht. Zur Sicherstellung des Starts und der Landung bei derartigen Wetterlagen schlage ich vor: Ausbildung jedes Jagdflug- zeugführers zum Blindflugschein III …« Walter Dahl wird am Ende kein Haar gekrümmt. Aber derartige Vorfälle zerren unaufhörlich an Günther Lützows Nerven.

er seine jungen, schlecht ausgebildeten Flug- zeugführer nicht durch die dicke Hochnebel- decke über dem Platz stoßen lassen wollte. Das habe den Reichsmarschall in un- glaubliche Rage versetzt, aber auch Dahl habe einen Zorn entwickelt, der jenem des Reichsmarschalls nicht mehr nachgestanden sei. Es habe einen äußerst erregten Wort- wechsel vor den Pressekorps-Leuten gege- ben. Der Reichsmarschall habe Dahl die zahlreichen Fallschirmabsprünge seiner Flugzeugführer als Beweis dafür vorgehalten, daß sie lieber vor der Feindberührung aus- stiegen, statt zu kämpfen, und er habe damit gedroht, die eigenen Jäger von der eigenen Flak abschießen zu lassen, weil sie samt und sonders feige Krüppel seien. Aber Dahl sei

Am Grab von Walter Oesau: Der General der Jagdflieger Adolf Galland (ganz links) trägt im Mai 1944 aus Protest gegen Göring seine Auszeichnungen nicht mehr

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