ZEITGESCHICHTE MEUTEREI DER JAGDFLIEGER
es völlig gleichgültig ist, ob er dieses Kon- volut nun vortragen wird oder nicht, denn alles, was hier geschrieben steht, haben sie Göring bereits vor zwei Tagen gesagt und nun fehlt ihnen der Wind in den Segeln. Der Reichsmarschall wird bestens vorberei- tet sein. Görings Rage Nachdem Göring und sein Gefolge den Raum betreten haben und alle sitzen, bleibt Günther Lützow als einziger stehen. Was er in den Händen hält, liegt auch vor Göring auf dem Tisch. »Herr Reichsmarschall!«, beginnt er mit fester Stimme, »Namens dieser Versamm- lung muß ich Sie bitten, mir 50 Minuten
Göring nach wenigen Minuten mit hoch- rotem Kopf an, »ich hätte keine starke Luft- waffe aufgebaut?« Lützow bleibt unbewegt stehen und blickt Göring in die Augen. »Jawohl, Herr Reichs- marschall«, gibt er zurück, »Sie haben eine starke Luftwaffe aufgebaut und in Polen und Frankreich Erfolge mit ihr gehabt. Dann aber, Herr Reichsmarschall, von da ab haben sie geschlafen!« Wuchtig schlägt Göring auf den Eichen- tisch. »Was sagen Sie da?«, schreit er, »Das ist ja die Höhe! Das ist ja Meuterei! Ein Soldaten- rat ist das hier!« Und dann, die Besprechungs- vorlage verächtlich von sich schiebend, gefährlich leise in den Saal hinein: »Wer ist bereit, mir damit die Treue zu brechen?«
3.) General Peltz kann trotz Achtung sei- ner Person und seiner Leistungen niemals das Vertrauen der Jagdwaffe haben, da er a) das IX. Korps in dieser schweren Zeit der Nation infolge übertriebener Ausbil- dungsforderungen vom Einsatz zurückhält, während gleichzeitig die schlecht ausgebil- deten Tagjäger rücksichtslos in den Kampf geworfen werden müssen, b) kein Jäger ist, c) für die Durchführung des Einsatzes am 1. Januar 1945, der die Jagdwaffe 2 Kommo- dore, 3 Kommandeure, 17 Staffelkapitäne und 199 Flugzeugführer kostete, verantwort- lich war, d) nachhaltig für die Me 262 als Kampf- flugzeug eingetreten ist, obwohl dieses Flug- zeug nach Ansicht der Jagdwaffe als Kampf- flugzeug bei weitem nicht so geeignet ist wie als Jagdflugzeug, e) für die den Jägern gegenüber feindliche Einstellung des IX. Korps verantwortlich ist, f) und da er eng mit Oberst Krafft von Dellmensingen zusammenarbeitet, der in der Jagdwaffe als der größte Jägerhasser angesehen wird. 4.) Oberst Gollob und Oberst Herrmann werden in der Jagdwaffe nicht anerkannt und werden sich das Vertrauen der Jäger nicht erwerben können. Die Gründe hierfür sind: a) Oberst Gollob ist Abschießer gewesen, niemals aber Verbandsführer. Er stellt per- sönliche Interessen über die Sache. Beweis dafür ist, daß er in seiner Unzufriedenheit, statt sich durchzubeißen, den Versuch mach- te, zu einem anderen Wehrmachtteil über- zuwechseln. b) Bei Oberst Herrmann wird anerkannt, daß er dem Vaterland in schwerer Stunde, jedoch – und dies muß besonders betont werden – mit Hilfe von General Galland geholfen hat. Die Jagdwaffe macht ihm aber den Vorwurf, daß er, als die taktischen Vor- aussetzungen nicht mehr erfüllt waren, dies aus persönlichen ehrgeizigen Gründen nicht nach oben zugab und dadurch untragbare Verluste bei nicht nennenswerten Erfolgen verschuldete. 5.) Die Jagdwaffe ist der Überzeugung, daß die Umgebung des Herrn Reichsmar- schalls diesen falsch berät. Sie ist der Auf- fassung, daß sämtliche Offiziere ausgetauscht werden müssen, wobei den augenblicklichen Verhältnissen entsprechend die Austausch- offiziere aus dem Kreis erfahrener Jagdflieger herausgezogen werden müssen …« Es gibt noch weitere Blätter, auf denen unter der Überschrift ›Vertrauenskrise‹ sehr Verschiedenes zusammengefaßt ist. Bevor er beginnt, weiß Günther Lützow bereits, daß
›Das ist ja die Höhe! Das ist ja Meuterei! Ein Soldatenrat ist das hier!‹
Günther Lützow steht. Seine Haltung strafft sich noch einmal. Hinter ihm macht Hannes Trautloft den Ansatz, sich zu erhe- ben, blickt sich um und setzt sich wieder, nachdem kein anderer seinem Beispiel folgt. »Da haben Sie es!«, kommt es nun von vorn, »Sie und Galland, Sie sind die einzigen Stänkerer hier!« »Ich werde Sie füsilieren lassen!« Dann hagelt es Vorwürfe und Beschimpfun- gen, durchsetzt von Versuchen, Keile zwi- schen die Konspirateure und ihre Kamera- den von den Frontverbänden zu treiben. Helmut Bennemann wird auf Kosten der anderen mit Lob überschüttet, Hermann Graf wird mit gebrochener Stimme die Ver- sicherung zuteil: »Ich lasse Sie zurück an die Ostfront, weil ich mit Ihnen und Ihrem Geschwader zufrieden bin. Widmen Sie Ihre gesamte Kraft dem Abwehrkampf im Osten. Das deutsche Haus steht lichterloh in Flam- men…«, und so geht es in einem fort. Ver- wünschungen, Selbstmitleid, Drohungen und Anflüge von Lagebeurteilung. Günther Lützow ist nicht bereit, sich dieses Programm ein weiteres Mal bieten zu lassen. »Herr Reichsmarschall«, unterbricht er Göring, »in der gleichen Weise wie Sie besorgt über der Entwicklung des Krieges und in der Über- zeugung, daß der ›Führer‹ über die Vorgän- ge in der Luftwaffe nicht orientiert ist, bitte ich, mich morgen zum Frührapport bei ihm melden zu dürfen…« »Lützow!«, wird er nun angeschrien, »Wenn ich nicht wüßte, daß Sie im Grunde ein aufrechter Offizier sind, würde ich Sie erschießen lassen!«
Redefreiheit zu geben mit der Versicherung, daß Sie nichts dazwischensagen. Sonst ist unser Vorhaben, Sie aufzuklären, zwecklos.« Mit einer unwirschen Handbewegung bedeutet der Reichsmarschall dem Obers- ten, fortzufahren. Dabei ruht seine üppig beringte Rechte auf dem Papier der Kons- pirateure, während ihm allmählich das Blut zu Kopfe steigt. Lützow trägt die einzelnen Punkte vor und gibt in freier Rede Erläute- rungen dazu, aber er kommt nicht weit. »Wollen Sie mir vorwerfen«, herrscht ihn
Kaum ins Vertrauen gezogen, meldet Robert von Greim die Verschwörung an den Chef des Generalstabs der Luftwaffe
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