― PERSÖNLICHE ENTWICKLUNG ―
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I nmitten des Trubels unseres immer voller werden- den Lebens würde es uns helfen, «white spaces» zu pflegen (vorbehaltene und private Momente, in denen sich unser inneres Wesen endlich aus- drücken kann). Clotilde Dusoulier ist zertifizierter Master Coach und Leiterin des Podcasts Change ma Vie .
Sagt die Art und Weise, wie wir unsere Zeit einteilen, viel über unsere Bestrebungen, unser Selbstwertgefühl und unsere Selbstverwirklichung aus?
Die Art und Weise, wie wir unsere Zeit und unser Geld nutzen, zeigt, was uns wirklich wichtig ist. In was man investieren möchte und in was nicht. Unsere Zeit ist die wertvollste Ressource, die es gibt. Sie erneuert sich nicht und wir wissen nicht einmal, wie viel wir davon haben. Wie wir sie
Moment tun wollen. In diesen Wochen versuche ich, keine Po- dcasts zu hören, nicht zu lesen und meine innere Welt nicht mit Wissen und Austausch zu füllen.
Besteht ohne diese freien Momente die Gefahr, dass man an sich selbst vorbeigeht?
Genau, diese weissen Mo- mente können Platz für Ge- danken schaffen, die sich ohne diesen Raum nicht of- fenbaren würden Denn oft
Warum ist es manchmal hilfreich, die Zeit anzuhalten?
Wir leben ein Leben voller Ablenkungen, Möglichkeiten, Chancen, Menschen, die wir treffen und Erfahrungen, die
nutzen, offenbart unsere Fähigkeit, nein zu sagen, wenn wir nein sagen wollen, auf uns selbst zu achten oder Entschei- dungen zu treffen. Genau an dieser Kreuzung kann man sich keine Geschichten mehr erzählen. Zwischen dem
ist es nur in solchen Momenten, in denen wir nicht im Tun oder Handeln sind, möglich, den Inhalt unserer inneren Rede zu hören. Es sind diese ruhigen Momente, in denen Zweifel oder sogar Gedanken der Unzufriedenheit oder sogar Groll aufkommen. Sorgen und Ängste kommen an die Oberfläche, wenn man ihnen den Raum bietet, um sie zu hören. Zunächst können diese Gedanken unbequem sein; das Beste, was Sie tun können, ist jedoch, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Andernfalls können Sie Ihr Leben da- mit verbringen, vor ihnen zu fliehen. Wenn Menschen sagen, dass sie nicht aufhö- ren können, liegt das vor allem daran, dass sie, wenn sie es tun, ihre inne- ren Fragen hören und es vorüberge- hend leichter und verlockender ist, sie unter den Teppich zu kehren. Diese Momente des "Nichts", diese "weissen Räume", offenbaren die Qualität der Beziehung, die wir zu uns selbst haben. Sie zu pflegen ist das beste Geschenk, das wir uns sel- bst machen können, und zwar so früh wie möglich. Es ist eine Möglichkeit, eine gute Beziehung zu sich selbst zu pflegen, die es uns ermöglicht, uns in schwierigen Situationen auf uns sel-
wir machen können. Das ist natürlich grossartig, denn schnell zu sein und vorwärtszugehen ist in vielerlei Hinsicht gewinn- bringend. Aber gleichzeitig ist es auch ein echter Gewinn, wenn man diese Flucht nach vorn mit Momenten ausgleicht, die wie Räume des Brachliegens, des Nachdenkens, des Spielens, ja sogar der scheinbaren Langeweile sind; denn sol- che Momente für sich selbst können allem an- deren Tiefe und Perspektive verleihen. Die meisten von uns könnten viel gewinnen, wenn wir absichtlich "Momente des Nichtstuns" kultivieren würden; wenn wir Momente, die nicht pro- duktiv sind, voll ausleben würden. Das würde uns auch helfen, Über- forderung zu vermeiden. Eine sol- che Inaktivität entspricht einem echten Bedürfnis des Menschen, das unsere moderne Lebensweise nicht zu erhalten vermag. Wenn wir jedoch die Organisation unserer Raum- Zeit nicht wieder in die Hand nehmen, wenn wir uns nicht dazu entschliessen, die gleichnamige Zeit wirklich frei zu gestalten, füllt sie sich von selbst bis zum Rand und wir werden unserer freien Zeit irgendwann sogar überdrüssig, wenn sie vollständig belegt ist!
Sagen und dem Tun, hier spielt sich alles ab. Ein Politiker, der sagen würde, dass Sauberkeit eine seiner Prioritäten für seine Stadt ist, und dem man ansieht, dass das Budget für die Reini- gung von Jahr zu Jahr sinkt, würde sich ent- larvt sehen. Wenn Sie die Beziehung zu Ihren Eltern für sehr wichtig halten, sie aber
In unserer jüdisch-christlichen und kapitalistischen Kultur wird Müssiggang sehr schnell mit Faulheit in Verbindung gebracht.
seit zwei Monaten nicht mehr angerufen haben, ist etwas nicht ausgerichtet. En- tweder ist es nicht so wichtig, wie Sie behaupten, oder Sie sollten sich mehr Zeit dafür nehmen. Ihr Podcast wurde 25 Millionen Mal angehört. Haben die Menschen das Bedürfnis, sich selbst besser kennen zu lernen?
Wir haben in unserer Gesellschaft ein grosses Problem: Emotionen haben kein Bürgerrecht. Sie erscheinen ein wenig schamhaft, schamlos oder lästig, obwohl sie in Wirklichkeit absolut im Mittelpunkt unserer Lebenserfahrung stehen. Ich habe Kinder und sehe, dass sich das in der Schule zu ändern beginnt: Emotionen werden immer häufiger thematisiert. Wenn Emotionen nicht aus- reichend berücksichtigt werden, wirkt sich das auf unser tägliches Empfinden und die Art und Weise aus, wie wir unsere Projekte durchführen. Wir bieten daher Werkzeuge an, mit denen wir einen 360-Grad-Rundgang durch die verschiedenen Bereiche unseres Lebens machen können. Das Praktizieren dieser "white spaces" ist ein Teil davon.
bst verlassen zu können.
Aber wir werden nicht dazu erzogen, nichts zu tun; die Langeweile könnte auftauchen...
Die meisten Menschen ver- binden Ruhe oder Nichts tatsächlich mit Langeweile; sie sehen darin sogar Zeit- verschwendung, Einsamkeit
Wie kann man diese weisse Zeit konkret praktizieren?
Für die meisten von uns ist es notwendig, diese Termine mit uns selbst zu planen, ohne eine Aktivität zu planen
oder eine existentielle Leere. Aber während dieser freien Zeiten geht es darum, die Freude zu finden, die es bereitet, einfach nur im Augenblick zu sein, einfach nur "zu sein". Das ist nicht einfach, wenn man es als Kind gewohnt ist, zu hören, dass man nicht "untätig bleiben" soll. In unserer jüdisch-christlichen und kapitalistischen Kultur wird Müssiggang sehr schnell mit Faulheit in Verbindung gebracht. Wer nichts tut, ist zu nichts nutze und hat keinen Platz in der Gesellschaft. Er verwandelt sich sogar in eine Art blinden Passagier... Von da an ist es nur noch ein kleiner Schritt, um zu sagen, dass er ohne Ehrgeiz und ohne Wert ist!
und ohne sich ein Ziel zu setzen, ausserdem, zuzuhören, wo- rauf man Lust hat. Wenn ich mir eine Auszeit nehme, geht es mir nicht unbedingt darum, zwei Stunden lang nichts zu tun. Es geht darum, eine Art Auszeit zu nehmen, ohne dass mich meine To-Do-Liste einholt und ich Gefahr laufe, die Fugen im Badezimmer zu putzen! Worauf habe ich Lust? Auf dem Sofa liegen, Musik hören, mich hinsetzen, lesen, nichts tun, spa- zieren gehen? Die Idee ist, sich als Geschenk einen Moment mit sich selbst zu schenken, in dem man sich selbst zuhört. Und dann ist es interessant, zu beobachten, was Sie in diesem
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