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Im Uhrzeigersinn (v. l. o.): Gäste vor dem Sunflower Pub – das „Public House“, kurz Pub, liegt dort seit den 1880er-Jahren. Pizza im Sunflower Pub. Graffiti in der North Street. Straßen­ musiker Kenny mit Hund Charlie im Ulster Sports Club.

Songwriter Rory Gallagher, der in Donegal geboren wurde, in Cork aufwuchs und in Belfast lebte. Auch an ihn erinnert eine Ge­ denktafel in der Ulster Hall. „Er war einer der wenigen Künstler, die darauf bestanden, hier zu spielen, als alle anderen sich weigerten“, sagt Dolores und lässt seinen größten Hit erklingen: „Bad Penny“. „1974 gab er ein Konzert hier in der Ulster Hall, während draußen Bomben fielen“, sagt sie. „Er tat das mit den Worten ab, drinnen sei man sicherer als draußen.“ Gallagher legte während dieser Zeit bei jeder einzelnen Irland-Tournee hier einen Zwischenstopp ein, was dazu führte, dass seine Musik weithin als Flucht vor den Unruhen gesehen wurde. „Er brachte beide Seiten, die katholische und die protestantische, für ein paar Stunden zusammen. Das schaffte sonst niemand.“ WORTE AN DEN WÄNDEN Noch Jahrzehnte nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens finden sich in Belfast Überbleibsel der troubles . Ich ent- decke diverse politische Wandmalereien aus dieser Zeit, etwa eine kaleidoskopartige Darstellung von IRA-Führer Bobby Sands, der 1981 im Hungerstreik im Gefängnis starb. Am Sunflower Pub, etwas nördlich des Linen Quarter, ist ein Sicherheitsgitter aus den 1980er-Jahren erhalten geblieben. Auf einem Metallschild steht daneben: „Sonnenbaden oben ohne verboten, Ulster hat genug gelitten.“ „Wegen ihrer Politik ist die Stadt Anti- Establishment“, sagt Fremdenführer Adam Turkington. Er zeigt auf den Käfig vor dem Pub, der während der Unruhen als Kontroll­ punkt diente, um Personen vor dem Betreten der Bar zu identifizieren. Adam bietet jeden Geschichtsträchtige Nacht Die legendäre Bluesrock- Band Led Zeppelin spielte im Jahr 1971 in der Ulster Hall in Belfast zum ersten Mal ihr berühmtes Stück „Stairway to Heaven“.

Sonntag Streetart-Rundgänge durch Belfast. „Das spiegelt sich in der Musik der Stadt wider – Punk ist das offensichtlichste Beispiel. Aber auch in der Kunst.“ Adam leitet Seedhead Arts, ein Straßen­ kunst-Kollektiv, das in den letzten zehn Jahren Hunderten von Künstlern auf der ganzen Welt Möglichkeiten zum Malen geboten hat. Zum populären Festival „Hit the North“ kommen jedes Jahr im Mai Tausende von Künstlern nach Belfast, um überall Wandmalereien anzubringen, von Reihenhauswänden bis zu Laternenpfählen. „Vor einem Jahrzehnt sollten wir Rollläden von heruntergekommenen Geschäften in der North Street bemalen, in einer Gegend, die von Bauunternehmern dem Verfall preis­ gegeben worden war“, sagt er. „Früher hat die Straßenkunst die Risse überdeckt, jetzt ist Belfast ein fruchtbarer Boden für die Kunst.“ Schließlich erreichen wir unser Ziel, das Musikzentrum des Ulster Sports Club. Hier befindet sich das Wandgemälde eines Punks mit neongrünen Stachelhaaren, der auf einem Sofa liegt und einen Baseballschläger vor einen zerschmetterten Fernseher hält. Daneben gesprüht: Alter your native land („Verändere dein Heimatland“), eine Zeile aus der alternativen Ulster-Punkhymne von Stiff Little Fingers. „So verbinden sich Musik und Kunst in dieser Stadt“, kommentiert Adam. „Ich glaube, durch die Tradition der Wand­ malerei versteht Nordirland mehr von Kunst als andere Länder“, fügt er hinzu. Während der Unruhen wurde die Straßenkunst sogar noch beliebter. „Ob im Stadtzentrum oder an den Friedensmauern: Die Schriftzüge an den Wän­ den sind hier sehr politisch.“ Später zieht es mich abermals in die Ulster Hall, die geistige Heimat der Punkrebellion in der Stadt. Doch anstelle krachender Riffs und pogender Punks erwartet mich eine ganz andere Art von Performance: Oper. Der 30-köpfige Chor der Northern Ireland Opera trägt klassische Werke, etwa aus Mozarts eindringlichem Requiem oder Ausschnitte aus Tschaikowskis Oper „Eugen Onegin“ vor. Die Musik ist so schön, dass alle Gedanken an das, was hinter den historischen Türen der Ulster Hall liegt, vergessen sind – genau wie in den Tagen von Rory Gallagher. Alles, was zählt: Die Menschen kommen zu­ sammen und genießen die Musik.

Drei Fragen an Charlotte Dryden, Geschäftsführerin des Oh Yeah Music Centre WAS INSPIRIERT SIE? Es hat etwas Gewaltiges, wie Musik ein Katalysator für Veränderungen sein kann. Von Ruby Murray bis Van Morrison, von The Undertones bis Stiff Little Fingers und darüber hinaus: Der Beitrag, den die Musik für das Leben in Belfast geleistet hat, ist enorm. Es gibt hier einen starken Gemeinschaftssinn, und die Musik zieht sich durch viele verschiedene Berei- che unserer Arbeit. WAS SIND DIE BESTEN BÜHNEN IN BELFAST? Ich liebe die Empire Music Hall, The Black Box, Voodoo, die Ulster Hall, The Telegraph Building und Limelight, die allesamt Sprungbretter für große Bands waren, darunter Oasis. Wir haben jede Menge tolle Veranstaltungsorte.

WAS SOLLTE MAN NICHT VERPASSEN?

Wir sind eine Stadt der Fes­ tivals. Ich empfehle das AVA Festival für elektronische Musik im Mai, das TradFest mit traditioneller irischer Volksmusik im Juli und das Sound of Belfast Festival im Oktober, bei dem aufstre­ bende lokale Musiker an über 30 Orten in der Stadt gefeiert werden.

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BELFAST

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