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TESTACCIO Der Pasta auf der Spur in Das klassisch römische Gericht Pasta alla Gricia ist umrankt von Sagen und Geschichten. Ihre Rezepte variieren, doch ein Spaziergang durch die Trattorias in Testaccio beweist: Nichts kann Menschen besser zusammenbringen als eine gute Schüssel Pasta. P aolo steht stolz im Eingang des Da Bucatino. Drinnen polieren Kell­ ner Gläser. Draußen glätten Kollegen

in dünne Scheiben geschnitten und mit der guanciale gebraten werden, bevor Pici-Pasta und ein Topping aus Pecorino dazukommen. „Bei beiden Gerichten ist es wichtig, dass das guanciale dick geschnitten und vorsichtig gebraten wird, damit das reichhaltige Fett ab­ gegeben wird“, sagt Paolo. Aber seine Art ist nicht die einzige. Bei Flavio al Velavevodetto, einer schicken Trattoria, die in den Fuß des Monte di Testaccio (ein uralter, künstlicher Hügel aus zersplittertem Terracotta) gebaut wurde, haben sich die Köche für Rigatoni entschieden und fügen den Pecorino in zwei Etappen hinzu: Ein Teil wird mit dem guanciale und stärkehaltigem Pastawasser im heißen Topf geschmolzen und am Ende noch mehr über das Gericht gesprenkelt. Während die Methoden für Gricia ver­ schieden sind, ist Testaccio klar definiert. Der keilförmige Bezirk, der einst der Hafen Roms war, besteht aus der geschäftigen Via Mar­ morata, einem Teil der alten Stadtmauer und der Biegung des Flusses Tiber. Neben dem Fluss befindet sich Lo Scopettaro, früher eine Werkstatt, in der Besen hergestellt wurden, heute eine verlockende Trattoria. Hungrige Kunden, die darauf warteten, ihre Besen zu kaufen, wurden derart durch das Mittagessen für die Angestellten in Versuchung geführt, das in der Ecke vor sich hin köchelte, dass der Ort nach und nach zu seiner heutigen Be­ stimmung fand. Heute dreht sich alles um die großzügigen Schüsseln von Gricia. Hier wird dieses Gericht mit Mezzi Rigatoni hergestellt – Röhren, die ein wenig kleiner sind als die Mezze Maniche von Paolo. Um mich herum sitzt ein gemischtes Publikum: Familien zwi­ schen Büroangestellten, daneben Bauarbeiter. Einem guten Mittagessen kann eben kaum einer widerstehen. Rachel Roddy

Tischtücher und decken die Tische, die bis zur Straßenecke stehen. Seit 16 Jahren teile ich mir mit dieser traditionellen, familien­ geführten Trattoria einen Innenhof. In Da Bucatinos holzvertäfeltem Essbereich er­ fuhr ich, dass die Speisen in einer römischen Trattoria einen konzentrierten Werdegang der Stadt darstellen: eine beinahe 3000 Jah- re alte Geschichte, die von Kichererbsen­ suppe, Lammbraten, wildem Chicorée, Kirsch-Crostata und – daher stehe ich mit Paolo hier – Pasta alla Gricia erzählt. Obwohl sie oft im Schatten ihrer nahen Verwandten Amatriciana steht, ist Gricia die ursprüng­ liche Form des Gerichts. Die Geschichte besagt, dass Schäfer im bergigen Hinterland zwischen den Abruzzen und Latium guan- ciale (getrocknete Schweinebacke) brieten, mit Pasta und Pecorino vermischten und das Ganze Gricia nannten. Später fanden Toma­ ten ihren Weg in die Speisekammer der Rö­ mer, und die Farbe der Gricia wandelte sich von weiß zu rot. Die neue Variante wurde als Amatriciana bezeichnet, nach der Stadt Amatrice, und – zusammen mit Gricia – von den abruzzesi , die auf der Suche nach Arbeit in die Stadt kamen, nach Rom gebracht. Besonderer Beliebtheit erfreut sich das Gericht in Testaccio, dem Arbeiterviertel der Stadt, das im 19. Jahrhundert entstand. Aufgrund der hohen Anzahl an Trattorias liegen ständig der Duft nach Gekochtem und die Aussicht auf ein gutes Mittagessen in der Luft. „Bei Da Bucatino gibt es zwei Gricia-Versionen“, erklärt Paolo. Die erste Option ist traditionell: guanciale , geriebener Pecorino Romano und schwarzer Pfeffer, kombiniert mit dicken Röhrennudeln namens Mezze Maniche (was so viel wie „kurze Ärmel“ bedeutet). Die zweite Variante ist Gricia con Carciofi, wofür Artischocken

Wo schmeckt was am besten? MARITOZZI BEI LINARI Es wird erzählt, dass Verehrer ihren Angebeteten früher diese sahnegefüllten Brötchen gaben. Beim Frühstück dürfen sie nicht fehlen, danach folgt typischerweise ein Espresso. pasticcerialinari.com SUPPLÌ BEI TRAPIZZINO Auf keinen Fall verpassen sollte man die in Ei und Semmelbröseln frittierten Bällchen aus gewürztem Reis. Beißt man hinein, trifft man auf einen schmelzenden Kern aus Mozzarella. trapizzino.it Wenn Sie keine Pizza Bianca hinter der Theke entdecken können, heißt das, dass der zwei Meter lange Pizzateig gerade vorbereitet wird. Schließen Sie sich der Schlange an und genießen Sie sie frisch aus dem Ofen. Via Mastro Giorgio 87 PIZZA BIANCA BEI PANIFICIO PASSI GEBRATENE ANCHOVIS BEI LA TORRICELLA Mit Mehl bestäubt, frittiert und mit einem Stück Zitrone serviert. la-torricella.com

MEHR INFO: dabucatino.it , ristorantevelavevodetto.it , loscopettaroroma.com

76 NATIONAL GEOGRAPHIC TRAVELER 3/2022

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