NATIONAL GEOGRAPHIC HISTORY

SINGEN VON LEID UND LIEBE

Ich hatte großen Kummer

DIE GRÄFIN VON DIE war zu ihren Leb- zeiten berühmt, doch weiß man heute nur noch wenig über sie – wie so häufig bei Menschen, besonders Frauen, die im Mittelalter lebten und nicht gerade dem Hochadel angehörten. Die „Comtessa de Dia“ lebte im späten 12. Jahrhundert in der Dauphiné im Südosten Frankreichs. Die namengebende Stadt heißt auf Französisch „Die“, Altokzitanisch „Dia“. Im 13. Jahrhundert verfasste ein anonymer Autor eine kurze vida der Künstlerin, aus der hervorgeht, dass sie mit einem nicht näher bekannten Guillem de Peitieus ver- heiratet war, sich dann aber in den Trou- badour Raimbaut d’Aurenga verliebte. Mit ihm zusammen soll sie das Gedicht Amics, en gran cossirier ( „Freund, in gro- ßem Kummer“) verfasst haben; rechts die erste Strophe von Estat ai en greu cossi- rier („ Ich hatte großen Kummer“).

Ich hatte großen Kummer wegen eines Ritters, der mir gehörte, und ich will, dass man allzeit weiß, wie sehr ich ihn geliebt habe.

Nun sehe ich, dass ich betrogen wurde, weil ich ihm nicht meine Liebe schenkte, weshalb ich sehr gelitten habe bei Tag und bei Nacht (wörtlich: wenn ich im Bett lag und wenn ich angezogen war).

Das Ideal der höfi- schen Liebe wurde in anderen Ländern übernommen. Deut- scher Minnesänger mit Geliebter, Große Heidelberger Lieder- handschrift (Codex Manesse) , um 1300, Universität Heidelberg.

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