Bergsteiger

Kolumne ∕ Klemmers Keile

Selbstversorgung Von Service-Robotern reden sie zwar noch nicht beim Alpenverein, ihnen wird aber die Zukunft gehören. Der »Hüttenwirt« wird zum Mythos werden. Denn wer will das auf Dauer noch machen?

J osef Klenner, der Präsident des Deutschen Alpenvereins, sagte bei der Jahrespressekonferenz des DAV Anfang Mai einen denk- würdigen Satz: »Wir werden ei- nen Andrang im Gebirge erleben.« Ich saß in der ersten Reihe und wusste nicht so recht: War das jetzt die frohe Botschaft? Oder war es eine Drohung? Ins Grübeln brachte mich auch die folgende Aussage: Wer im Sommer in irgendeiner Hütte über- nachten wolle, solle wegen des erwarteten Andrangs unbedingt schon mal reservieren

die ganz oben im Regal stehen, ein specki- ges Inventar, das man nicht mehr anrührt. Wir, die Konsumenten, fordern, nun auf Vorbestellung: Warmwasser aus der Du- sche, auch im Karst und nach Wochen ohne Niederschlag, am Abend das flexitarische Bio-Menü und am nächsten Tag Fernsicht im dreistelligen Kilometerbereich. Per App aus dem Automaten Am 16. Mai 2022 kommentierte die öster- reichische Tageszeitung »Der Standard«

karte reduzierten oder an manchen Tagen gar nicht mehr warm auftrügen. Viele Le- serinnen und Leser berichteten in Kom- mentaren von eigenen Erfahrungen und wie sie schließlich den Absprung geschafft hätten und dass sie sich nachträglich wun- derten, wie sie es so lange im Tourismus ausgehalten hätten. Und genau da schließt sich der Kreis zu uns, den Touristen, die immer mehr wer- den und immer mehr haben wollen, wäh- rend immer weniger Mitmenschen Lust haben, es uns zu bringen. Von Service-Ro-

– jetzt, Anfang Mai. Da wusste ich noch gar nicht, wo ich ei- gentlich hin will, wie das Wet- ter sein wird und ob ich dann überhaupt noch Lust darauf haben werde, zusammen mit anderen Frühbuchern beim Post-Corona-Kuscheln zwi- schen Gaststube und Lager nach Gründen zu suchen, wa- rum ich meinen Mitmenschen auch noch während der Frei- zeit und im Gebirge beim Te- lefonieren zuhören soll. Duschen im Karst Der Hüttenbericht hatte es in sich. Lauter Baustellen! Dazu

botern auf Hütten reden sie zwar noch nicht beim Alpen- verein, aber ich glaube, das ist die Zukunft. Es läuft wohl auf eine zeitgemäße und markt- konforme Hightech-Selbst- versorgung hinaus, mit Lei- tungen für Bier und unten im Tal zusammengerührte Ho- lunder-Ingwer-Limonade, die hochgepumpt und oben per App aus dem Automaten ge- zapft werden. Mit Mikrowel- len, in denen man die selbst mitgebrachte Nudelbox auf- wärmt, mit selbstreinigenden Hüttenduschen, mit Saug- und-Wisch-Bots. Der »Hüt- tenwirt« wird zum Mythos

der Mangel an Handwerkern, an Material, an Pächtern, an Hüttenpersonal. Nur an einem würde es eben nicht mangeln: an uns, den Hüttenbesuchenden. Und an unseren Ansprüchen. Die meisten Hütten sind ja nichts anderes als höhergelegte Gastbetrie- be, Selbstversorgung kommt nur noch in den gesammelten Alpenvereinsjahrbü- chern aus dem 19. und 20. Jahrhundert vor,

den dramatischen Personalmangel im Gast- gewerbe. Viele Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter hätten während der Corona-Sper- re dem Tourismus den Rücken gekehrt und nun keine Lust mehr, dort wieder anzufan- gen. Bald würden sich die Gäste im Urlaub selbst bekochen und bedienen müssen. Schon jetzt gebe es Hotels, die aus Mangel an Koch- oder Servierpersonal die Speise-

werden. So wie das Gletschereis, an das bald nur noch alte Fotos erinnern werden.

Axel Klemmer vermisst die Spontanität und »Freiheit, aufzu- brechen, wohin er will« (Hölderlin, 1800). Und es nervt ihn, dass er kaum noch in eine Kneipe gehen kann, ohne vorher zu reservieren.

08/22 BERGSTEIGER 107

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