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GEWURZE ALS IMMUNBOOSTER

E SSIG WIRD SEIT der Antike wegen seiner kulina- rischen Vielseitigkeit und seiner medizinischen Eigenschaften als Stärkungsmittel für Gesundheit und Wohlbefinden geschätzt. Die ersten Essige wurden aus Datteln, Feigen und Gerste fermentiert. Heute erfreut sich vor allem Essig aus fermentier- tem Apfelsaft großer Beliebtheit. Weil er angenehm schmeckt und minimal verarbeitet ist, ist Apfelessig die erste Wahl für die Verwendung in traditionellen Heilmitten und als Immunbooster gefragt. Als Hausmittel wird Essig gegen Verdauungsbeschwerden, Husten und verschleimte Bronchien bei saisonalen Allergien eingesetzt. Viele Menschen schwören auf ihre tägliche Dosis Apfelessig. Um Nutzen und Wirksamkeit zu verstärken, legen manche Kräuterkundige Heilkräuter und Gewürze über ein paar Wochen in Apfelessig ein – sie mazerieren sie. Der ent- standene Heiltrank kann pur eingenommen oder mit anderen Zutaten gemischt werden. Ein perfektes Beispiel für einen solchen Trank ist „Fire Cider“, der „Feuer-Apfelwein“. Fire Cider wird mit verschiedenen Kombinationen wärmender Kräuter und Gewürze hergestellt, die über mehrere Wochen in eine Mischung aus gleichen Teilen ungefiltertem Apfelessig und Honig eingelegt und zu einem sogenannten Oxymel abgeseiht werden. Der Begriff leitet sich vom griechischen oxymeli ab und bedeutet so viel wie „Säure und Honig“. Historisch sollten Oxymele die manchmal unan- genehmen und beißenden Aromen verschiedener Heilkräuter überdecken. Die Rezepte für diese Mischungen wurden über die Jahrhunderte weitergereicht und sind heute noch gefragt.

Der scharfe, süßsaure Feuer-Apfelwein enthält typische Zutaten wie frisch gehackte Chilischoten, Ingwer, Zwiebeln, Knoblauch und Meerrettich. Diese dringen tief in den Körper ein, lösen Verschleimungen und regen den Kreislauf an. Ein Gläschen von dem Tonikum stellt bei beginnener Erkältung, Halsschmerzen oder Virusinfektionen das Immunsystem scharf und sorgt bei Schlappheit für wärmenden Antrieb. Der zugefügte Honig verleiht dem Feuer-Apfelwein nicht nur Wärme und Süße, sondern macht den Trunk auch dickflüssig und klebrig. So kann das Heilmittel besser an empfindlichem Gewebe haften. Schon lange wird Honig von Heilenden wegen seiner antimikrobiellen und gewebepflegen- den Eigenschaften geschätzt. Sowohl als Hausmittel als auch in der modernen Medizin wird er äußerlich angewandt, um die Heilung von Wunden und Verbrennungen zu beschleu- nigen, und innerlich zur Pflege empfindlicher Schleimhäute, etwa bei Magengeschwüren und Halsschmerzen. Die Originalrezeptur des traditionellen Feuer-Apfelweins lässt sich ganz nach Bedarf hervorragend abwandeln. Zur Unterstützung des Immunsystems können beispielsweise Kurkuma oder Holunderbeeren zugefügt werden, zur Stärkung von Lunge und Nebenhöhlen Zimt, Geißblattblüten oder Oregano. Stark wärmende Zutaten wie Gewürznelken, Kardamom oder schwarzer Pfeffer machen daraus ein fantasti- sches Herz-Kreislauf-Tonikum. Er kann pur genossen werden, eignet sich aber auch zum Aromatisieren von Marinaden, Saucen und Salatdressings. Inzwischen ist fertig zubereiteter Feuer-Apfelwein im gut sortierten Reformhandel oder auch im Onlinehandel erhältlich. Bisweilen stammen diese Zubereitungen jedoch aus Massenproduktion von weit her, und die Hersteller geben oft nicht alle Zutaten an. Da die traditionelle Kräuterkunde sich auf ihre Zugänglichkeit für alle gründet, ist es gut zu wissen, dass sich dieser kraftvolle Stärkungstrunk mit der langen Tradition ganz leicht selbst herstellen lässt. In jeder halbwegs gut sortierten Speisekammer finden sich Apfelessig, Honig, Gewürze und Kräuter, aus denen sich jeder seinen ganz persönlichen Feuer-Apfelwein mischen kann. So wird der Fire Cider zur lebendigen Verkörperung der Kräutertradition.

Feuer-Apfelwein lässt sich ganz leicht

selbst herstellen (ganz r.): Einfach

Apfelessig mit Honig und Gewürzen – zum Beispiel Chilischoten (r.) – mischen und mehrere Wochen ziehen lassen.

46 DIE KRAFT DER KRÄUTER

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