EUROPÄISCHE EROBERER
nach einem integren Leben durch die Mangel. Wie wohl schon im Krieg, vernachlässigte er sein Äußeres völlig. Oft verließ er das Haus barfuß und ungewa- schen, in seiner Schlafbekleidung und mit langem, zerzaustem Haar. FREUND UND FEIND Sokrates hatte viele Anhänger unter den Jungen, den Mächtigen und den Reichen von Athen – aber auch viele Gegner. Er lieferte sich hitzige Wortge- fechte mit den Sophisten, einer Gruppe von Wander- lehrern, die gegen Geld ihren Schülern rhetorische Fähigkeiten für die politische Arena beibrachten. Sokrates kritisierte die Sophisten für ihre Philoso- phie auf Bezahlung. Die wechselseitige Feindschaft inspirierte Aristophanes zu seiner Satire „Die Wol- ken“. Darin machte sich der berühmte Dramatiker nicht nur über Sokrates’ Aussehen lustig, sondern verspottete auch dessen Charakter und porträtierte ihn als Mann „mit dem Kopf in den Wolken“. Der tiefe Fall ließ nicht lange auf sich warten. Das politische Klima in Athen hatte sich zu Sokrates’ Ungunsten gewandelt. Er geriet ins Visier – zum einen wegen der Taten einiger seiner Anhänger, zum anderen, weil sein Plädoyer für den Indivi- dualismus in politisch angespannten Zeiten allzu revolutionär erschien. 399 v. Chr. wurde er wegen Missachtung der Götter und Verführung der Athe- ner Jugend angeklagt. Anstatt zu fliehen oder seinen Überzeugungen abzuschwören, akzeptierte Sokrates das Todesurteil. Seine letzten Tage verbrachte er mit Freunden. Dann trank er den mit Gift gefüllten Schierlingsbecher aus. Platon zufolge schien er „fröhlich in Verhalten und Worten und starb vornehm und ohne Furcht“. Sein Leben und Sterben, kühn und inspirierend, sollte Sokrates’ geistiges Erbe auszeichnen. ◆
V ieles von dem, was wir über Sokrates wissen, stammt aus den Schriften sei- nes bekanntesten Schülers: Platon. Auch er wurde Philosoph und Lehrer. Um 387 v. Chr. gründete er eine Akademie, Griechenlands erste universitätsähnliche Institution. Gemeinsam mit seinem Musterschüler Aristoteles übte Platon enormen Einfluss auf das abendländische Denken aus. Er glaubte an eine ethisch basierte Ordnung des Universums, imaginierte einen idealen Staat unter der Herrschaft eines Philoso- phenkönigs und beschäftigte sich einge- hend mit Mathematik, Wissenschaft sowie Natur. Platons Schrift Politeia postuliert eine direkte Verbindung zwischen einem in Gerechtigkeit geführten und einem glück- lichen Leben. Das Werk gilt als eines der bedeutendsten Theorien über Politik und Philosophie aller Zeiten. ZEITGENOSSEN Platon, der Meisterschüler
LINKS: Porträt des Philosophen Platon, Sokrates’ Schüler. RECHTE SEITE: Sandro Botticellis Meisterwerk „Die Geburt der Venus“ ehrt die griechische Göttin der Liebe.
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DENKER, HERRSCHER, MACHER
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