STANDPUNKT 39
das Schwingen der Kostenpeitsche geführt werden können. Mögen Sie unseren Lesern in wenigen Sätzen erläutern, wie es funktioniert und worauf es dabei ankommt. Mein 5-Phasen-Modell nenne ich „Wahrhaftig wandeln.“ Wie die Kultur aussehen soll, gilt es individuell heraus- zuarbeiten. Das Bestreben ist jedoch, in unterschiedlicher Ausprägung stets die Zukunftsfähigkeit und die Beweglichkeit der Organisation zu gewährleisten. In wenigen Worten: Es geht um Haltung und Glaubwürdigkeit. Kultur- wandel braucht Durchhaltevermögen und Rückgrat, in erster Linie seitens der Unternehemenslenker*innen, denn das Tagesgeschäft verleitet zur Inkonsistenz. Die Mitarbeiter gestalten den Wandel auf Basis einer soliden Managementvor- gabe und spüren messbar die kleinen und großen Schritte im Tagesgeschäft. Ist die Zukunft weiblich? Oder kennt sie gar kein Geschlecht mehr? Na ja, wenn wir objektiv feststel- len, dass die Vergangenheit und die Gegenwart in Unternehmen und Machtorganen offensichtlich männlich, weiß, heterosexuell, Ingenieurs- und BWL-lastig war, ist das realistisch. Die Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit gehört – statisch belegt – zunehmend Frauen und anderen bisher diskriminier- ten Akteuren. Damit wird die Zukunft sicher noch nicht weiblich, aber definitiv weiblicher. Dies ist für die Unternehmen und für die Gesellschaft – auch wissen- schaftlich belegt – eine gute Nachricht. Gar kein Geschlecht mehr? Also im Sinne, dass das Geschlecht nicht mehr so eine brisante, teilweise polemische Rolle spielt. Das klingt nach sehr weit entfernter Zukunft. Gibt es eine Erfahrung, die Ihr Leben nachhaltig verändert hat? Meine Ausbildung zum zertifizierten Business Coach ging mit einer >>
Ihre Familienwurzeln liegen auf Martinique und Guadeloupe. Aufge- wachsen sind Sie bei Paris, haben in Paris und Würzburg studiert, leben und arbeiten heute in Hamburg. Klingt wie der perfekte Lebenslauf einer Kosmopolitin. Fühlen Sie sich wie eine, oder anders gefragt, fühlen sie sich heimisch, egal wo Sie sich befinden Ich kenne nur „Weltenbummler“, die sich als Kosmopoliten bezeichnen: Also Menschen, die zwar geschäftlich und privat viel unterwegs sind, aber doch im Heimatland leben. Wenn ich „zuhause“ oder „nach Hause“ sage, meine ich je nach Kon- text Frankreich, das für mein Leben so prägende Unterfranken, meinen großartigen Wohnort Hamburg oder die karibischen Inseln, wo meine Eltern leben. Und doch kann ich mich mit dem Begriff „Kosmopolitin“ keineswegs identifizie en. Ich bin nicht und fühle mich nicht in der ganzen weiten Welt zuhause, bin aber darauf neugierig und finde überall persönliche, menschliche, kulturelle Verbindungen. Ich fühle mich an mehreren Orten zuhause. Was ein Reichtum! Ich wüsste nicht, wie ich mich da zuhause fühlen sollte, wo ich nur kurz oder nie gelebt habe und wo keine Menschen auf mich warten. Sie sind von der Unternehmensseite auf die unternehmensberatende Seite gewechselt. Heute stehen Sie weltweit agierenden Konzernen als Sparringspartnerin und Keynote- Speakerin zur Verfügung. Rache am Turbokapitalismus oder Sendungs- bewusstsein für eine bessere Welt? Rache? Ganz im Gegenteil: Ich mag Konzerne mit deren Größe, Komplexi- tät, Anspruch, Vielfalt, konkurrierenden Interessen und weitreichendem Impact. Ich habe dort Karriere gemacht und die- se Strukturen spreche ich als Selbststän- dige auch gezielt an. Ich weiß, woran
es krankt und setze direkt am Tagesge- schäft – auch im Kleinen – an.
Sendungsbewusstsein habe ich ohne Zweifel. Ich möchte jedoch nicht primär anklagen, sondern befähigen. Der Kulturwandel – hin zu einem positive- ren Miteinander, mehr Vielfalt zwecks Zukunftsfähigkeit und Beweglichkeit der Organisation – erfordert zunächst ein Bewusstsein für die Ursachen der Missstände, dann eine ehrliche Selbst- reflexion, damit „du ch und durch persönlichkeitsentwickelte Führungs- kräfte“ den eigenen Anteil wie auch die eigene Selbstwirksamkeit erkennen und ihre Ressourcen positiv aktivieren. Schließlich geht es ums „Anders tun“ im Tagtäglichen. Kulturwandel, digitale Transforma- tion, Nachhaltigkeit, um nur einige der Buzz-Wörter unserer Zeit zu nennen. Es gibt viel zu tun. Warum glauben Sie, ist es fünf vor und nicht fünf nach Zwölf? Weil ich an die Kraft der Glaubenssätze glaube. Ich beziehe mich in meinen Keynotes viel auf meine Erziehung. Meine Eltern haben uns vermittelt, dass wir immer und in jeder Situation eine Wahl haben und Einfluss nehmen kö - nen. Fünf nach Zwölf würde bedeuten, dass wir der Situation ausgeliefert sind und nur noch grübelnd, schimpfend, klagend dem tiefen Fall entgegen vegetieren. Wo bleibt dann Raum für Selbstverantwortung und Selbstwirk- samkeit? Ich will gar nicht erst meine Einschätzung fachlich begründen. Ich glaube einfach an unsere Selbstver- antwortung und Selbstwirksamkeit als Menschen. Irgendetwas liegt immer in unserer individuellen und gemeinsamen Macht. Es ist viel zu tun. Ganz klar. Packen wir es an! Sie haben ein pragmatisches 5-Phasen-Modell entwickelt, wie Unternehmen anders als durch
Michelle Euzet
My Home is my Offic
Sie ist Expertin für Kul- turwandel in Unterneh- men. Organisationen und Führungskräfte schätzen die selbst- ständige Beraterin als Impulsgeberin und Prozessbegleiterin. Wir wollten wissen, wie sie wohnt und lebt.
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