IJAB Journal 1/2021: Internationer Austausch und Corona

2020 in ihre Länder zurückgebracht. Die Mehrzahl der Austauschschüler*innen mussten also das Austauschjahr ein paar Wochen vor der regulären Beendigung abbrechen: Eine Katastrophe für viele Jugendliche, sind doch die letzten Mo- nate die schönsten überhaupt – man beherrscht die Sprache perfekt und das Leben in der Gastfamilie fühlt sich mehr als „Familie“ und weniger als „Gast“ an. Die Austauschschüler*innen, die sich bereits für ein Austauschprogramm be- worben hatten, um im August und Sep- tember 2020 (Jahrgang 2020 – 2021) ihr Austauschjahr zu beginnen, mussten gemeinsam mit den Eltern und der Aus- tauschorganisation überlegen, wie es weitergehen sollte. In vielen Austausch- ländern grassierte die Pandemie schlim- mer als in Deutschland und Austausch- programme mussten abgesagt werden. Auch für diesen Jahrgang verzeichneten wir einen Rückgang von über 80 %. Für die Jugendlichen besonders problema- tisch ist die Tatsache, dass es für einen Halbjahres- oder Jahresaustausch nur die sehr kurze Zeitspanne kurz vor Ein- stieg in die so genannte Qualifikations- phase innerhalb der Schullaufbahn gibt. In der Corona-Pandemie hat das dazu geführt, dass viele Jugendliche ihren Austausch nicht einfach aufschieben konnten, sondern komplett auf die Aus- tauscherfahrung verzichten mussten. Dennoch wurde nach Lösungen gesucht, indem z. B. die Austauschprogramme auf andere Länder, vor allem in die europä- ischen Länder, verschoben wurden. Der Arbeitsaufwand für die in erster Linie hauptamtlichen Kolleg*innen war zu der Zeit extrem hoch, da vieles kurzfristig geplant werden musste und kaum Prog- nosen über den weiteren Programmver- lauf getroffen werden konnten. Gleich- zeitig war es zu dieser Zeit schwer, das ehrenamtliche Engagement aktiv ein- zubinden: Auswahlprozesse und Vor- bereitungsseminare fanden nicht statt, die Betreuung der Gastfamilien und der Gastschüler*innen in Deutschland war ausgesetzt. Dazu kamen restriktive Einreisebestim- mungen, die in einigen Ländern vor- sahen, dass keine Visa für Austausch- schüler*innen ausgestellt werden

konnten. Die Konsulate und Botschaften waren überlastet und / oder boten erst gar keine Termine für Gastschüler*innen an. Gleichzeitig nahmen auch die Schu- len in einzelnen Bundesländern keine Gastschüler*innen auf, sodass selbst bei Einreisemöglichkeit kein Schulplatz zur Verfügung stand. Ein weiterer Aspekt war die unsichere finanzielle Situation unserer Mitglie- der. Der Corona-Rettungsschirm, der im Sommer 2020 für die Träger der freien Jugendhilfe beschlossen und ab De- zember 2020 zu beantragen war, trug zur Absicherung unserer gemeinnüt- zigen Organisationen bei. Parallel gab es aber in zahlreichen Partnerländern Kapazitätsengpässe, die dazu führten, das die zivilgesellschaftlichen Partner, mit denen zum Teil über viele Jahre eine kompetente Zusammenarbeit be- stand, insolvent gingen. In diesen Län- dern konnte und können immer noch keine Austauschprogramm durchgeführt werden: Jahrzehntelang aufgebaute Strukturen brachen einfach zusammen. Diese Gesamtsituation führte zu hohen Belastungen bei allen Kolleg*innen, so- wohl bei den deutschen Organisationen als auch bei den Partnerorganisationen weltweit. Die oben skizzierten Probleme zeigen zudem Unterschiede z. B. zwischen den kürzeren Begegnungen der bilateralen Austauschformate und langfristigen For- maten: Die kürzeren Programme konn- ten jederzeit nachgeholt werden und der Umstieg auf ein rein digitales Format war mit entsprechenden Anpassungen möglich. Auch auf der Partnerseite war die finanzielle Situation durch staatliche Förderung gesichert. Ein Umstieg auf ein digitales Format ist bei unseren Pro- grammen nicht möglich, auch der Zeit- punkt lässt sich, wie oben skizziert, nicht beliebig nach hinten verschieben.

Deutschland und in unserem internatio- nalen Netzwerk? Diese und weitere Fra- gen haben uns in den letzten Monaten sehr beschäftigt. Abschließend bleibt festzuhalten, dass sich strukturell unbedingt etwas ändern muss, damit unser Format noch mehr in die Breite wirkt. Wir brauchen eine so- lide finanzielle staatliche Förderung, die es uns ermöglicht, erstens unser Ehren- amtsnetzwerk (und hier schließen wir die ehrenamtlich aktiven Gastfamilien mit ein), weiter zu stärken und auszu- bauen und zweitens unseren Austausch mit allen Weltregionen durchzufüh- ren. Ferner bedarf es einer dringenden BAföG-Reform. Das Schüler-BAföG muss im Sinne der Bildungsgerechtigkeit für alle Schüler*innen, egal welcher Schul- form, vollumfänglich zugänglich sein. Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat einmal mehr deutlich gemacht, dass glo- bale Herausforderungen nicht mehr nur innerhalb der uns bekannten Länder- grenzen gelöst werden können. Vielmehr braucht es globale Lösungsansätze, für die es Generationen bedarf, die in globa- len und interkulturellen Kontexten den- ken und agieren können. Der gemein- nützige langfristige Schüleraustausch ist das ideale Format, sich diese Fähigkeiten anzueignen.

Kontakt: Dr. Uta Wildfeuer Geschäftsführerin von AJA Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustausch info@aja-org.de

Post-Corona – Wie geht unsere Arbeit weiter?

Für uns als Verband war die Corona- Pandemie wie ein Brennglas: Was pas- siert, wenn unsere Programme nicht mehr durchgeführt werden können? Was passiert mit unserem Netzwerk aus über 10.000 Ehrenamtlichen, unse- rem Einfluss auf die Zivilgesellschaft in

IJAB journal 2/21

15

Made with FlippingBook - Online catalogs