Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Matrix „des Selbst“ versagt, manifestiert sich dies in Form emotionaler Unverbundenheit und Isolation. Christopher Bollas (2002) hat der freien Assoziation – er selbst zieht es vor, sie als „freies Sprechen“ zu bezeichnen – ein Buch gewidmet. Als Freud die freie Assoziation in die Sitzung einführte, bezog er Bollas zufolge „den monologischen Charakter des solitären inneren Diskurses auf die dialogische Struktur einer bipersonalen Beziehung“ (S. 7). „Freie Assoziation“ ist eine Kompromissbildung zwischen psychischer Wahrheit und dem Bemühen des Selbst, den Schmerz dieser Wahrheit zu vermeiden (S. 10). Das freie Assoziieren ist keine einzelne Gedankenreihe, sondern besteht aus mannigfaltigen Reihen, die von psychischem Interesse sind (S. 17). Zu der revolutionären Freud’schen Methode gehört neben der freien Assoziation auch eine neue Weise des Zuhörens des Analytikers, nämlich seine gleichschwebende Aufmerksamkeit, die einzige Möglichkeit, unbewusste Kommunikation zwischen Patient und Analytiker herzustellen. Beide Elemente, das „freudianische Paar“, wie Bollas es ausdrückt, werden von den meisten Analytikern als zentrales Element der analytischen Methode anerkannt. Bollas beschreibt zwei Formen der freien Assoziation des Patienten, die zwei Formen des Zuhörens des Analytikers entsprechen. In der freudianischen Form ist das manifeste assoziative Material nicht direkt unbewusst, aber stark entstellt. Eine lange Diskurssequenz des Patienten ist erforderlich, bevor sich dem Analytiker die unbewusste Bedeutung erschließt. Die andere Form der freien Assoziation und des Zuhörens ist die kleinianische, d.h. der assoziierende Patient benutzt „Objekte“, die für Teile seines Selbst stehen. Die Perspektive der auf der Objektbeziehungstheorie beruhenden Technik erkennt den manifesten Text als zutreffendes Bild für Selbstanteile an. Die zeitgenössische Psychoanalyse, so Bollas, oszilliert tendenziell zwischen diesen beiden Sichtweisen: „In der Tat wird der Analysand wahrscheinlich unterschiedliche Formen der Assoziation benutzen: von einem Denken, wie Freud es verstand, gemäß der Logik von Reihen, zu einem Denken, wie Klein es verstand, gemäß der Logik der Projektion. Es ist also möglich, dass der Patient in ein und derselben Sitzung die sequentielle Denkweise hintansetzt, um durch Projektion zu denken; gleichermaßen ist es möglich, dass der Analytiker aus diesem oder jenem Grund von einem Zuhören auf freudianische Weise zu einem objektbeziehungstheoretischen Zuhören wechselt.“ (Bollas 2002, S. 22) Die freie Assoziation ist eine Denkweise, die sich in unterschiedlicher Form im Unbewussten manifestiert: in der Logik der Reihung, der Logik der Projektion, als Theater von Selbstanteilen, die miteinander und mit den Elternobjekten sprechen, oder als Entwicklung des Charakters (S. 33). Der frei sprechende Patient weiß nicht, worüber er spricht, und kann deshalb entdecken, dass das Unbewusste durch das Bewusstsein des Selbst spricht (S. 34).

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