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beispielsweise an Patienten, deren unzulängliche Impulskontrolle (z.B. Alkoholmissbrauch) zu Fehlurteilen (gestörte Ich-Funktion) führt. Die Einschätzung der Ätiologie solcher Störungen der Ich-Aktivität erleichtert die Wahl der individualisierten technischen Modifizierung. Die Behandlung von Defiziten der Impulskontrolle oder von Defiziten der Urteilsfähigkeit unterscheidet sich von der Behandlung fehlangepasster Abwehrmechanismen und Kompromissbildungen, wenngleich das Problem dem äußeren Anschein nach fast identisch aussehen kann. Eine Technik, um zwischen den Ursachen von Störungen des Ich- Funktionierens unterscheiden zu können, ist eine „Versuchsdeutung“ einer mutmaßlich defensiven Hemmung, die zu dem Problem geführt hat, das möglicherweise mit den Abwehrmechanismen der Bestrafungsprovokation und der Verleugnung einer Realität zusammenhängt. Bei den meisten neurotischen Patienten sollte die Erläuterung dieser Abwehrelemente zu einer Übereinstimmung mit dem Analytiker führen, zur Aufdeckung von neuem Material, Erinnerung eines Traumes oder einer Veränderung der Abwehrkonfiguration – die zu einer besser angepassten Abwehr führen kann, aber nicht muss (Waelder 1960; Brenner, Reporter 1975; Schlesinger 1995). Solche Reaktionen sind gewöhnlich nicht von Patienten zu erwarten, bei denen die Beeinträchtigung des Ich-Funktionierens keinen Abwehrzweck erfüllt, sondern auf ein Defizit zurückzuführen ist. In diesen Fällen sind verschiedene, das Ich und das Über- Ich stützende Maßnahmen erforderlich (z.B. eine gründliche Betrachtung der verfügbaren Alternativen und ihrer Konsequenzen, die Vereinbarung schützender Grenzen usw.). Bei der Formulierung einer Intervention kann Hartmanns (1951/ 1972) schon erwähntes „Prinzip des mehrfachen Appells“ hilfreich sein: Nachdem der Analytiker zuerst den unbewussten Konflikt des Patienten aufgedeckt hat (Blackman 2003), klärt er spezifische Elemente seiner pathologischen Kompromissbildung, indem er Licht wirft auf gehemmte Funktionen und auf Abwehroperationen, die zur Kontrolle der durch Konflikte zwischen Triebwünschen, Realität und Selbstbestrafungstendenzen erzeugten Affekte aktiviert werden. Dahinter steht die Überlegung, dass bei relativ intakten autonomen Ich-Funktionen – insbesondere Abstraktions- und Integrationsfähigkeiten, Realitätsprüfung und Selbsterhaltungsfähigkeit – ein neues Verständnis von zuvor unbewussten Elementen der Kompromissbildung infolge einer Neuausrichtung des inneren Konfliktmilieus zu dem „Resonanzeffekt“ durch angrenzende psychische Strukturen und Prozesse und zu einer Neukalibrierung der Triebbesetzungen, der Objektbeziehungen und zur Symptomlinderung führen wird. Ich-psychologisch orientierte Interventionen sollen „intersystemische Konflikte“ (zwischen den Systemen Ich, Über-Ich und Es) lösen – Beispiele wären etwa Schüchternheit und Esssucht zur Linderung von Schamgefühlen wegen Masturbationsphantasien – sowie „intrasystemische“ Defizite oder Konflikte, etwa das zwanghafte Verletzen von Geboten oder Vorschriften und eine schlechte Urteilsfähigkeit wider besseres „Wissen“. Der Analytiker wird versuchen, die Störung „im“ Über-Ich und die Ursprünge der widersprüchlichen Identifizierungen zu
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