Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

zunehmender Neutralisierung mündet diese Entwicklung in die Formulierung von Konzepten, die frei von emotionaler Überlagerung sind. Rose bezieht diese Überlegungen auf die kreative künstlerische Arbeit und erklärt: „Vielleicht führt die Hand des Künstlers die alte Mund-Hand- und Körper-Ich-Integration fort, indem sie sexuelle und aggressive Energie auf die Leinwand überträgt, so wie sie in der frühen Kindheit vom Mund auf die Haut übertragen wurde. Vielleicht steht die Leinwand manchmal für die Haut“ (Rose 1963, S. 787f.). Eine kreative Erfahrung kann als Brücke dienen zwischen dem „Ich-Kern“ und den „Ich-Grenzen“, die überschritten werden. Einer analytischen Deutung gleich kann sie an jedem beliebigen Punkt ansetzen und sich in jede Richtung fortbewegen (Rose 1964). In seinen späteren Arbeiten verbindet Rose (2004) die Ambiguität der Metaphernbildung des Primärvorgangs (E. Kris 1952) mit den durch die unbewusste Phantasie stimulierten Affekten (Arlow 196) und Studien über die zentral-visuelle Informationsverarbeitung und den (primären und sekundären) neural-sensorischen „Mappingmustern“ (Zeki 2001; Damasio 2003) und vertritt die These, dass ästhetische Formen den Sinneseindruck der Wahrnehmungsambiguität binden, was direkt zu Affekten führt, die sekundär durch unbewusste Phantasie ausgearbeitet werden. Vor allem mit Blick auf die nonverbalen Künste postuliert er eine Verbindung zwischen den Künsten und der präverbalen Entwicklung, in der Sinnesdaten intrinsisch mehrdeutig und auf mannigfaltige Weise interpretierbar waren: „Zusammen mit den frischen Affekten, die eine solche Wiederentdeckung begleiten, findet dies innerhalb der Regulation der sicheren haltenden Umwelt der ästhetischen Form statt. Mithin könnte man sagen, dass nonverbale Kunst auf höheren Ebenen jene Affektregulation fortsetzt, die präverbal begonnen hat“ (Rose 2004, S. 427).

III C. SPEZIFISCH EUROPÄISCHE ENTWICKLUNGEN DER ICH- PSYCHOLOGIE

Europäische Analytiker dokumentieren und rekonstruieren die verschiedenen Zugänge zur Ich-Psychologie unter Berufung auf Otto Fenichel , der in seinem Vortrag „Die Psychoanalyse des Charakters“ von 1941 erklärte, dass die Psychoanalyse „einfach auf die Ichpsychologie ausgedehnt werden“ müsse (Fenichel 1941/1998, S. 225). Als ersten Grund nennt er das klinische Phänomen des Widerstandes: „Die Notwendigkeit, diese Widerstände zu analysieren, führte in der Praxis zur psychoanalytischen Ichpsychologie“ (ebd., S. 226). Zu den frühen Beiträgen aus den Jahren vor Ausbruch des 2. Weltkriegs zählt Anna Freuds besondere Beschäftigung mit der Entwicklungspsychologie in Verbindung mit konzeptueller und diagnostischer Forschung. Paul Federn verstand die Ich-Psychologie als Möglichkeit, besser zu verstehen, wie die klinischen Probleme von Patienten mit einem beschädigten Ich formuliert und behandeln werden können.

159

Made with FlippingBook - Online magazine maker