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Auf diesem Gebiet leistete er ebenso wie Anna Freud auf ihrem Pionierarbeit. Auch Sándor Ferenczis Arbeit mit schwer traumatisierten Patienten ist unter den europäischen Beiträgen der Jahre vor dem 2. Weltkrieg zu erwähnen. Die Ich-Psychologie war die wichtigste Inspirationsquelle für Alexander Mitscherlich , der bis zu seinem Tod im Alter von 73 Jahren – er starb 1982 – in der BRD mannigfaltige Beiträge leistete, um nicht nur seinem Volk zu helfen, die unvorstellbare Katastrophe der zwölfjährigen Naziherrschaft durchzuarbeiten. Darüber hinaus war es sein Ziel, eine aufgeklärte und sozialkritische Psychoanalyse nach Deutschland zurückzuholen. Der gemeinsame Nenner seiner Arbeiten war Freuds Plädoyer für ein stärkeres Ich, das „die Stimme des Intellekts“ zu hören und ihr zu folgen vermag (Freud 1927c). Ein wichtiger Beitrag zur Ich-Psychologie aus Nachkriegs-Europa ist Joseph Sandlers integrative Agenda, die die Ich-Psychologie an die Objektbeziehungstheorien und die Schule Melanie Kleins annäherte. Wenngleich die (nordamerikanische) Ich-Psychologie von der Italienischen Psychoanalytischen Gesellschaft insgesamt kritisch aufgenommen wurde, ist zu erwähnen, dass Stefano Bolognini der systematischen Aufmerksamkeit für die ich- psychologisch basierte Interaktion zwischen Ich und Selbst klinische Priorität beimaß. Darüber hinaus wird die heterogene Szene heute durch ein Wiederaufleben der modernen Ich-Psychologie in Madrid bereichert, wo Cecilio Paniagua Paul Grays „mikrostrukturelle Analyse“ der psychischen Oberfläche weiterentwickelte, um die Es- Ich-Interaktionen, die sich im psychoanalytischen Prozess entfalten, erfolgreich zu erfassen. Einige der oben erwähnten Beiträge werden unten detailliert erörtert. III Ca. Ich-Psychologie in Europa vor dem 2. Weltkrieg In diesem Zusammenhang ist Carlo Bonomis 2010 erschienene Rückschau auf das Thema „Ferenczi und die Ich-Psychologie“ von Interesse. Lediglich ein Jahr, nachdem er Freud persönlich kennengelernt hatte, prägte Sándor Ferenczi (1909) den Begriff „Introjektion“. Er verstand darunter eine „Erweiterung des Ichs“ und veröffentlichte 1913 zwei weitere Beiträge zur psychoanalytischen Erforschung des Ichs: „Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes“ sowie „Glaube, Unglaube und Überzeugung“. In der zweiten Abhandlung definierte er den Wirklichkeitssinn als Eigenschaft, die nicht erworben werden kann, indem man sich auf eine Autorität verlässt. Damit nahm er einen wichtigen Aspekt seiner späteren Opposition gegen die auf dem Strukturmodell beruhende Ich-Psychologie vorweg. Im Unterschied zu dem Standpunkt, den er gewöhnlich zu vertreten pflegte, nimmt er hier an, dass der Wirklichkeitssinn des Patienten durch die Introjektion des Analytikers als Hilf-Über- Ich verbessert wird.
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