Zurück zum Inhaltsverzeichnis
III Cc. Ich-Psychologie in Europa nach dem 2. Weltkrieg 1947 gründete Alexander Mitscherlich die deutschsprachige Fachzeitschrift Psyche , die fortan wesentlich zur Verbreitung der nordamerikanischen Ich-Psychologie in Deutschland beitrug. In Deutschland war die Ich-Psychologie ebenso wie in den USA an der verzögerten Rezeption der kleinianischen Psychoanalyse beteiligt (siehe Bergmann 2000). Mitscherlichs intellektuelle Brillanz und sein politisches Geschick sollten für die Förderung der Psychoanalyse in den kommenden Jahren eine besonders wichtige Rolle spielen. Die Diagnose und Therapie der psychischen Probleme, die durch das Naziregime verursacht worden waren und mit ihm zusammenhingen, waren das Thema seines berühmtesten Buches, Die Unfähigkeit zu trauern , das er gemeinsam mit seiner Frau Margarete Mitscherlich-Nielsen geschrieben hatte (A. und M. Mitscherlich 1967). Hermann Argelander (1920-2004) entwickelte das wichtige Konzept des „szenischen Verstehens“, dem er eine „szenische Funktion des Ichs“ zugrunde legte (Argelander 1970, 2013; Conci 2017). In einer Reihe von Artikeln beschrieb Argelander die psychoanalytische Arbeit als einen Dialog, der mit der Beteiligung des Analytikers am Gefühlsleben des Patienten einhergeht und diese voraussetzt. Die aus dieser Interaktion hervorgehende Beziehung ermöglicht es dem Patienten, die unbewussten Konflikte zu äußern, die ihn bewogen haben, den Analytiker aufzusuchen. Sie finden nun Ausdruck in unbewussten Verhaltensweisen und/oder strukturierten Szenen, denen der Analytiker mehr oder weniger bewusst seinen eigenen Beitrag hinzufügt. Im Lichte der Arbeit, die Paul Parin innerhalb und außerhalb psychoanalytischer Institutionen leistete, klassifizierte sein Zürcher Kollege Thomas Kurz (2017) ihn – zusammen mit Alexander Mitscherlich und Johannes Cremerius – als Mitglied der sogenannten freudianischen Linken (Jacoby 1983), als deren Begründer Otto Fenichel gilt. Für sie alle erwies sich die Ich-Psychologie als die ergiebigste Perspektive, um die Beziehung zwischen dem Individuum und seiner Gesellschaft zu erforschen. Otto Kernberg hat Joseph Sandlers Werk und Vermächtnis treffend charakterisiert, und zwar in seinem Beitrag zu einem Sonderheft des Psychoanalytic Inquiry , das 2005 zu Sandlers Ehren erschien. Kernberg (2005) schrieb: „Ich glaube, wir dürfen mit Fug und Recht sagen, dass Joseph Sandler mehr als jeder andere für die Integration der klassischen Ich-Psychologie mit der modernen Objektbeziehungstheorie geleistet hat, und zwar auf theoretischer ebenso wie auf klinischer Ebene“ (S. 174). In ihrem Buch Psychoanalyse und die Psychopathologie der Entwicklung stellen Peter Fonagy und Mary Target die wichtigsten Konzepte Joseph Sandlers zusammenfassend dar (Fonagy und Target 2003/2006), und zwar im Anschluss an ihre
164
Made with FlippingBook - Online magazine maker