Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Entwicklung (Erikson 1964) und seine allgemeinen sozio-kulturellen und politischen Interessen, von denen seine Schriften über Armut, über die Misshandlung der Native Americans und über die Depression und Selbstvorwürfe, die durch die Immigration oder durch das Leben in einer Welt mit rassistischen Vorurteilen verschärft werden können (Erikson 1964), zeugen. In seinem Kapitel über die amerikanische Identität rühmt Erikson (1964) in „Kindheit und Gesellschaft“ die amerikanische Individualität, verurteilt aber auch den Rassismus, Kapitalismus, die Ausbeutung und die Massengesellschaft. In Bezug auf Loewalds gesellschaftlichen und individuellen Fokus erläutert Chodorow seine Aussage über den von ihm so genannten Verrat, den Heidegger in den Jahren des Nationalsozialismus beging, seinen entwicklungspsychologischen Fokus auf die unvermeidliche Tötung der Eltern und die ödipale Wiedergutmachung sowie auf seine Anerkennung der Unauflösbarkeit bestimmter negativer therapeutischer Reaktionen, die er z.T. auf den Todestrieb zurückführt. Hans Loewald zählte zu den freudianischen Revisionisten der 1960er, 1970er und 1980er Jahre, die freudianische Ich-Psychologie und Objektbeziehungstheorie zusammenführten, um eine psychoanalytische Theorie zu formulieren, die dem tatsächlichen Erleben der Menschen nach ihrer Ansicht näher kam. Ihn interessierten vor allem die Grundannahmen des psychoanalytischen Theoriegebäudes und die basalen Vorannahmen über die Natur der Psyche und des Geistes, über die Realität und über den analytischen Prozess. Loewald war überzeugt, dass Freud zwei unterschiedliche theoretische Erklärungen der Triebe formulierte. Die erste stammt aus der Zeit vor 1920 und versteht das Streben nach Spannungsabfuhr als Merkmal der Triebe. Die zweite entstand mit der Einführung des Eros in „Jenseits des Lustprinzips“ (Freud 1920), wo Freud seine Definition des Triebes radikal umformulierte. Der Trieb strebt nicht länger nach Abfuhr, sondern nach Verbundenheit, „indem er Objekte nicht zur Befriedigung benutzt, sondern um komplexere mentale Erfahrungen aufzubauen und die verlorene ursprüngliche Einheit zwischen dem Selbst und Anderen wiederherzustellen“ (Mitchell & Black 1995, S. 190). Loewalds Revision der Freud’schen Triebtheorie setzte eine radikale Umformulierung von Freuds traditionellen psychoanalytischen Konzepten voraus. War das Es für Freud eine unwandelbare, konstante biologische Kraft, die mit der sozialen Realität kollidiert, wird es bei Loewald zu einem im Dienst der Anpassung stehenden Produkt der Interaktion. Die Psyche ist nicht in zweiter Linie interaktiv, sondern wesensmäßig. Loewald nahm an, dass es zu Beginn keine Unterscheidung gibt zwischen Selbst und Anderer, Ich und äußerer Realität, Trieben und Objekten. Stattdessen bilden das Baby und seine Bezugspersonen ein ursprüngliches, einheitliches Ganzes. Der verändernde Einfluss, den Loewald in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren auf die psychoanalytische Metapsychologie und das Auftauchen neuer Möglichkeiten, analytisches Material zu konzeptualisieren, ausübte, findet beispielhaft Ausdruck in seiner Erklärung: „ Triebe, als psychische Triebkräfte verstanden, werden als solche durch Interaktionen innerhalb eines ursprünglich aus der (psychischen) Mutter-Kind-

235

Made with FlippingBook - Online magazine maker