Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Eine spezifischere Bedeutung erhielt der Begriff Intersubjektivität nach und nach, als man dem Konzept des Subjekts in der klinischen Begegnung wachsende Bedeutung beimaß. Man verstand die Funktion des Analytikers nun weniger als die eines neutralen, objektiven Beobachters des analytischen Geschehens und eines neutralen Objekts von Übertragungsphänomenen, sondern begann, immer mehr eine Person in ihm zu sehen, die am Interaktionsgeschehen teilnimmt, sich mit ihren persönlichen Eigenschaften einbringt und ihre eigene, subjektive Haltung nutzt, um die unbewusste Dynamik des Patienten zu verstehen (Ponsi 1997). Das klassische, einseitige Bild vom neutralen Analytiker, der nur hin und wieder durch unerwünschte Gegenübertragungsreaktionen beeinträchtigt wird, wurde durch ein facettenreiches Bild ersetzt, das seiner Erfahrung einschließlich des Verstehens seiner Gegenübertragung und der Ursprünge seiner Subjektivität und dessen, was sie prägte, Rechnung trägt. Begriffe wie Subjektivität oder Intersubjektivität beleuchten die Neuheit und Einzigartigkeit der analytischen Begegnung: Indem das, was durch die Muster von Übertragung-Gegenübertragung vorgegeben wird, in den Hintergrund rückt, erhält das kreative Potential der analytischen Erfahrung größeres Gewicht (Turillazzi Manfredi & Ponsi 1999).

III. Bb. Intersubjektivität und Säuglingsforschung

Untersuchungen aus der Säuglingsforschung und bindungstheoretische Studien, die bestätigten, dass sich die Persönlichkeit in einer intersubjektiven Matrix des „Selbst-mit-der-Anderen“ herausbildet, die sowohl die innere als auch die äußere Welt einbezieht (Ammaniti & Trentini 2009; Cortina & Liotti 2010; Fonagy & Target 2007; Stern 1985), trugen zur Untermauerung eines konzeptuellen Rahmens bei, in dem die Interaktion zweier Subjekte die notwendige Voraussetzung sowohl für die psychische Entwicklung als auch für die psychologische Behandlung darstellt: Eine andere Person, eine Bezugsperson oder ein Analytiker, wird benötigt, um sich selbst erleben und entwickeln zu können oder, anders ausgedrückt, um ein Subjekt zu werden.

III.Bc. Intersubjektivität – Feldtheorie

Einer der wichtigsten europäischen Repräsentanten der Feldtheorie ist Antonino Ferro , der die Feldtheorie mit einem bioninianischen konzeptuellen Bezugsrahmen verbindet. Ferro und sein Co-Autor Roberto Basile verstehen das Feld als einen Treffpunkt der multiplen Charaktere des Patienten wie auch des Analytikers, die allesamt, quasi wie auf der Bühne, ein Eigenleben führen (Ferro & Basile 2008). Die Transformationen, die die Charaktere in den Sitzungsnarrativen erfahren, werden als Widerspiegelung der Transformationen des analytischen Feldes gesehen. Ferro (2009) und Giuseppe Civitarese betonen, wie der Analytiker seine eigene Psyche und seinen Körper im Zustand der Reverie

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