Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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III. C. Intersubjektivität in der französischen Psychoanalyse: Europa und Nordamerika

III. Ca . Einführung Die französische psychoanalytische Tradition ist nicht monolithisch. Doch auch wenn französische Psychoanalytiker unterschiedliche psychoanalytische Affiliationen pflegen, lassen sich Faktoren identifizieren, die für die Spezifität der postfreudianischen französischen Psychoanalyse spezifisch sind. Für das Verständnis der Reaktionen der französischen Psychoanalyse auf die US-amerikanische intersubjektive Orientierung sind dabei neben der Beziehung zu Freuds Schriften und den französischen Freud- Übersetzungen besonders wichtig: Lacans Einfluss, die Beziehung zwischen Psychoanalyse und Psychologie und die Betonung der Sprache. Diese Faktoren hängen miteinander zusammen und verstärken sich gegenseitig. Darüber hinaus sind sie genauso wie auch in anderen Ländern durch soziologische und kulturelle Gegebenheiten determiniert. Politische Traditionen, das Recht einschl. der Familiengesetzgebung, Erziehungstraditionen, Genderrollen und Genderbeziehungen, der ökonomische und soziale Status von Psychoanalysepatienten und Psychoanalytikern, aber auch die Ausbildung und die Ausbildungsfelder der Behandler lassen bestimmte Konzepte oder Elemente in den Vordergrund treten und für eine bestimmte psychoanalytische Kultur zentral werden. Diese Faktoren mögen bei der Rezeption der amerikanischen intersubjektiven Orientierung durch die französische Psychoanalyse durchaus eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Die philosophischen Einflüsse, kulturellen Bedingungen und unterschiedlichen Übersetzungen des Freud’schen Werkes, die die Psychoanalyse in den französischsprachigen Ländern prägten, sind andere als in den Englisch sprechenden Ländern. Nach Meinung zahlreicher französischer Psychoanalytiker spielte die Freud- Übersetzung ins Englische eine Rolle dabei, die Psychoanalyse an die Psychologie und die Kognitionswissenschaften anzunähern (Tessier 2005). Die Übersetzungen ins Französische waren weniger einheitlich, bis Laplanche in den 1980er Jahren die Herausgabe der OCFP in Angriff nahm (Laplanche 1989a), trugen aber durch lexikalische und semantische Entscheidungen erheblich zu spezifischen Richtungen bei. Zum Beispiel wurde das deutsche Wort Seele mit „mind“ ins Englische übersetzt, in Frankreich hingegen mit „Psychè“ – was Laplanche kritisierte. Er bestand auf dem Wort â me, das den philosophischen Lektürekontext veränderte. Das Wort Vorstellung wurde, den Gepflogenheiten entsprechend, mit „idea“ ins Englische übersetzt, was sich aber erheblich von der französischen Übersetzung, nämlich „représentation“ unterscheidet. Ein weiteres Beispiel wäre die Verdrängung , im Englischen „repression“ und im Französischen „refoulement“. Man beachte die soziale, ja sogar die strafrechtliche Konnotation von „repression“, während die französische Übersetzung die hydraulische Metapher in den Sinn ruft. Im Einklang damit weisen die Franzosen auch darauf hin, dass bei Beschreibungen des psychischen Funktionierens in der englischsprachigen Psychoanalyse – mit Ausnahme der Ich-Psychologie – „splitting“

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