Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Analyse der Übertragung des Patienten und insbesondere seiner Angst vor urteilenden Reaktionen des Analytikers. Follow-up-Studien über abgeschlossene psychoanalytische Behandlungen bestätigen die heutige Auffassung, dass Konflikte nie vollständig aufgelöst werden. Selbst nach Beendigung der Analyse bleiben Konflikte als aktive und abrufbare Elemente in der Psyche erhalten. Was sich verändert, ist die Fähigkeit des Individuums, auf aktivierte Konflikte in einer besser angepassten Weise zu reagieren (Papiasvili 1995; Abend 1998). III. Bd. Objektbeziehungstheorie und Objektbeziehungskonflikt in der Strukturtheorie: Dorpat und Kernberg Theodore Dorpat (1976) führte den Begriff „Objektbeziehungskonflikt“ zur Bezeichnung einer bestimmten Form des inneren Konflikts ein, an dem eine psychische Struktur mitwirkt, die der Differenzierung von Es, Ich und Über-Ich vorgängig und weniger differenziert ist. Ein solcher Objektbeziehungskonflikt taucht auf, wenn das Individuum einen Widerstreit zwischen seinen eigenen Wünschen und seinen internalisierten Repräsentationen der Wünsche anderer Menschen ausgesetzt ist, zum Beispiel: „Ich möchte mich so und so verhalten, aber es würde meine Mutter kränken.“ Dorpat nimmt auf mögliche Ich- und/oder Über-Ich-Defizite (Gedo & Goldberg 1973) sowie auf eine niedrige Stufe der Über-Ich-Bildung Bezug und betont, dass wir ein hierarchisches Modell der Psyche benötigen, um zu einem integrierten Verständnis des psychischen Konflikts zu gelangen. Auf einer höheren Ebene der inneren Differenzierung enthält dieses Modell das dreiteilige Instanzenmodell und auf einer niedrigen Ebene ein Objektbeziehungsmodell, demzufolge das Über-Ich nicht voll und ganz als innere Instanz erlebt wird, „Trennungsschuldgefühle“ durch unvollständige Separation des Selbst vom Objekt erzeugt werden und der Repräsentationsprozess nicht umfassend internalisiert wurde. Weil Dorpats Patient über die „Mutter in meinem Kopf“ sprach und nicht über eine reale Interaktion mit seiner Mutter, konnte der Konflikt nicht den äußeren oder externalisierten Konflikten zugeordnet werden. Als die Objektbeziehungen immer stärker ins Zentrum des Interesses rückten, gab es weitere originäre Versuche einer Integration mit der Ich-Psychologie. Damit einher gingen Implikationen für die Theorie der Behandlungstechnik. Eine dieser einflussreichen integrativen Entwicklungen, die in der nordamerikanischen Psychoanalyse ausgearbeitet wurden, stammt von Otto Kernberg. Er entwickelte seine Synthese nach und nach im Laufe von mehr als 30 Jahren. Sie ist insbesondere anwendbar im Zusammenhang mit der prä-ödipalen Entwicklung und dem „breiteren Bereich“ der Borderline-Persönlichkeitspathologien, bei denen sich unbewusste intrapsychische Konflikte nicht auf einen einfachen Widerstreit zwischen Impuls und Abwehr reduzieren lassen. In seinen Schriften beschreibt Kernberg (1983, 2015) die prä-ödipalen Konflikte als Zusammenstoß zwischen zwei Gruppen internalisierter

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