Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Objektbeziehungen, nämlich ausschließlich guter und ausschließlich böser. Jede dieser Einheiten besteht aus einer Selbst- und einer Objektrepräsentation unter dem Einfluss eines Triebabkömmlings, der klinisch als Affektdisposition zutage tritt. Impuls wie auch Abwehr finden Ausdruck in einer von Affekten durchdrungenen internalisierten Objektbeziehung. Unter Bezugnahme auf Fairbairn (1954), Klein (1952), Jacobson (1964) und Mahler (Mahler, Pine & Bergman 1975) postuliert Kernberg die Internalisierung bedeutsamer Beziehungen zwischen Selbst und anderen Menschen als Grundbausteine, die dyadische Einheiten aus einer Selbst- und einer Objektrepräsentation bilden. Miteinander verbunden werden sie durch den Affekt, mit dem sie erlebt werden. Diese dyadischen Einheiten konstituieren die basalen Infrastrukturen der Psyche. Ihre Konsolidierung und allmähliche Integration zu komplexeren übergeordneten Strukturen ermöglicht die Entwicklung der dreiteiligen Struktur aus Ich, Über-Ich und Es. Die basalen Repräsentationen der Selbst-Objekt-Dyaden werden in intensiven positiven wie auch negativen Affektzuständen internalisiert und determinieren so die „ausschließlich guten“ bzw. „ausschließlich bösen“ sowie die „idealisierten“ und die „verfolgenden“ psychischen Strukturen. Die psychoanalytische Objektbeziehungstheorie sieht innerhalb der Strukturtheorie zwei basale Entwicklungsebenen vor. Auf einer ersten Ebene wird unter der Vorherrschaft intensiver Affektzustände eine duale psychische Struktur aufgebaut. Diese wird einerseits durch idealisierte Selbstrepräsentationen konstituiert, die unter der Vorherrschaft starker positiver, affiliativer Affektzustände zu einer idealisierten anderen Person in Beziehung steht (Säugling und Mutter); andererseits entwickelt sich unter der Vorherrschaft starker negativer, aversiver, unlustvoller Affekte ein Set gegenteiliger dyadischer Beziehungen, die aus einer frustrierenden oder aggressiven Repräsentation der Anderen in einer Beziehung zu einer frustrierten, wütenden oder leidenden Selbstrepräsentation bestehen (Kernberg 2004). Die internalisierten ausschließlich guten und die davon strikt getrennt gehaltenen ausschließlich bösen internalisierten Objektbeziehungen lassen eine intrapsychische Struktur entstehen, die durch primitive dissoziative oder „spaltende“ Mechanismen charakterisiert ist. Im Gegensatz zu diesen frühen, durch intensive Affektzustände geprägten Formationen entfaltet sich die frühe Entwicklung bei relativ moderaten Affektzuständen unter der Kontrolle verfügbarer kognitiver Funktionen - des Drangs, die Realität kennenzulernen („Seeking“-System) - und ermöglicht ein frühes Verständnis der belebten und unbelebten Realität. In dieser frühen Phase existiert weder ein integriertes Selbstgewahrsein noch die Fähigkeit, sich ein integriertes Bild von wichtigen anderen Personen zu machen. Auf einer zweiten Entwicklungsebene, die nach und nach im Laufe der ersten drei Lebensjahre auftaucht, ermöglichen die zunehmend realistische kognitive Wahrnehmung der Umwelt und insbesondere die Dominanz positiver gegenüber negativen Erfahrungen die allmähliche Integration emotional widersprüchlicher

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