Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

relationalen Schulen als wichtige Grundlage erwiesen. Die Katastrophe der Veränderung (Goldberg 2008) und die Formen der Entwicklung und psychischen Veränderung sind Stätten der Trauer und zugleich Stätten blockierter Trauer. Diese Überlegungen weisen einen Zusammenhang auf mit den ungemein einflussreichen Konzepten, die J. Henri Rey entwickelt hat. In seinem Artikel „That which patients bring to analysis“ erläutert Rey (1988), dass Patienten ihre Behandlung bisweilen mit einer geheimen Agenda – einem Auftrag, wie Apprey (2015) es nennen würde – aufnehmen, nämlich dem Vorhaben, die beschädigten Objekte aus ihrer Biographie, die nun Teil einer sterbenden oder beschädigten inneren Welt sind, zu reparieren. Wenn das Objekt (der inneren Phantasie) wiederhergestellt wurde, kann der Patient sich verändern. Dies ist die unmögliche konflikthafte Bindung, in der sich viele Behandlungen entfalten. Im Geiste des relationalen Theoretisierens über die große Bedeutung der Gegenübertragung des Analytikers und seiner Subjektivität kann man auch das Unbewusste des Analytikers durch Reys Linse betrachten. Was die Frage des angsterfüllten Widerstandes des Patienten gegen Veränderung und die konfliktuöse Entschlossenheit, Wachstum zu verhindern, angeht, so muss man fragen, ob diese Ängste und Konflikte nicht auch in der Gegenübertragung des Analytikers aktiv sind. Relationale Analytiker konzentrieren die Aufmerksamkeit sehr konsequent auf die Gegenübertragung als Instrument und auf die Art und Weise, wie der innere Prozess des Analytikers psychische Veränderung im Patienten erschwert und/oder unterstützt. Wenn wir relationale Schriften mit Blick auf die Stätte oder Funktion des Konflikts lesen, müssen wir beachten, dass andere Terminologien und andere konzeptuelle Schwerpunkte die theoretischen Räume, in denen Konflikte auftauchen können, ausfüllen. Dimen (2003) und Hoffman (1998) bevorzugen beispielsweise den Begriff dialektisch . Beide interessieren sich für die produktiven Spannungen, die unter bestimmten Bedingungen des Widerspruchs insbesondere zwischen Analytiker und Analysand auftauchen, aber natürlich auch intrapsychisch in beiden Mitgliedern der Dyade. Es ist wichtig zu betonen, dass dieser Widerspruch mehr ist als lediglich eine Meinungsverschiedenheit oder –differenz; vielmehr können durch mannigfaltige Interaktionen intrapsychische Konflikte ausgelöst und geschürt werden. Umgekehrt können intrapsychische Konflikte äußere Konflikte hervorrufen, die interpersonal ausgelebt werden. Hoffman (1998) hält weder die Sexualität noch die Aggression für die grundlegende Konfliktquelle, sondern unsere Beziehung zur Sterblichkeit. Umso verblüffender ist, dass er den – zunächst im Innern des Analytikers auftauchenden – Konflikt zwischen der „Arbeit nach Lehrbuch“ und einem spontanen Arbeiten mit dem Konflikt des Kindes zwischen ödipalem Rivalen und Liebesobjekt vergleicht. Diese Analogie legt die Vermutung nahe, dass jeder Analytiker unweigerlich der Auffassung von der zentralen Bedeutung von Sexualität und Aggression für den Konflikt verpflichtet ist, auch wenn sie diese Konflikte in veränderlichen Affektzuständen (Spezzano 1998), intersubjektiven Räumen (Benjamin 1995, 1998) oder Beziehungskonstellationen (Davies 1998, 2001) verorten.

329

Made with FlippingBook - Online magazine maker