Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Benjamin (1998) tritt für eine fluide, wechselnde Fokussierung auf das Intrapsychische und das Interpersonale ein und erläutert die Motivation sowohl auf einer interpersonalen Ebene als auch im Dienst der Bezogenheit und der narzisstischen Bedürfnisse. Wenn es hier eine duale Theorie gibt, so ist sie objektrelational/relational. Die Bevorzugung eines Begriffs wie dialektisch ist mehr als bloße Rhetorik. Hoffman und Dimen bezeichnen als dialektisch die dialogischen, aktiven und interaktiven Aspekte des proteischen Charakters konflikthafen Erlebens. Der Terminus Dialektik konnotiert einen Dialog zwischen Alternativen, eine chorische, harmonische oder atonale Vielstimmigkeit oder auch ein Responsorium. Dimen ist der Auffassung, dass die Form und die Funktion konflikthaften Lebens insbesondere im Bereich der Sexualität von Fruchtbarkeit, Überraschung, Überfluss und unhintergehbarer Schwierigkeit zeugen. Auf der anderen Seite verweist Donnel B. Stern den Konflikt in seinem Buch Unformulated Experience in eine Fußnote. Darin heißt es, die Tatsache, dass der Begriff Konflikt nicht explizit benutzt werde, signalisiere seine Verwendung als Hintergrundhypothese , die weniger interessant sei als die veränderlichen psychischen Erfahrungszustände (Stern 1997). Dies ähnelt der Art und Weise, wie Bromberg (1998) und Davies (1998, 2001) den Begriff verwenden. Für Bromberg taucht der Konflikt gewöhnlich im Kontext der Dissoziation auf (Smith, 2000a, erörtert, wie sich „Dissoziation“ und „Konflikt“ in Brombergs Werk überschneiden und voneinander unterscheiden). Brombergs Arbeitsmodell betont die Erweiterung des erfahrungsbezogenen relationalen Feldes, durch die der Konflikt wahrnehmbar wird . Stern betrachtet den Konflikt als einen Entwicklungsschritt, weil er den Moment ankündigt, in dem das Nicht-Selbst zum Selbst wird. Und sobald Material, welches dissoziiert wurde, einen Konflikt auslösen kann, wird ein Verhandlungsprozess zwischen dem neu gebildeten Selbstzustand und anderen Selbstzuständen möglich. Was undenkbar war, kann nun gedacht und gefühlt werden. Man kann überlegen, wie man mit diesem Material umgehen wird. Solange es noch dissoziiert war, konnte es weder be-dacht noch gefühlt werden. Folglich konnte auch die Frage, wie mit ihm umzugehen sei, gar nicht erst auftauchen. In späteren Veröffentlichungen, vor allem in dem Artikel „The eye sees itself“ von 2004 entwickelte Stern die Überlegung, dass der Konflikt in einer dissoziationsbasierten Theorie der Psyche ein Entwicklungsschritt ist und keine Zwangsläufigkeit. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, kann es aber keinen unbewussten Konflikt geben. Weil das Unbewusste unformuliert ist, gibt es in ihm nichts, was genügend Struktur aufwiese, um mit etwas anderem in Konflikt zu graten. So gesehen, wäre auch das Konzept der unbewussten Phantasie revisionsbedürftig, wenn es auf etwas verweist, das unbewusst und strukturiert zugleich ist. Wenn das Unbewusste unformuliert ist, so ist unbewusste Bedeutung keine Form oder Struktur, sondern eine Möglichkeit – etwas, das zu bewusster Erfahrung werden kann. Diese Überlegung hängt mit der Dissoziation zusammen, die in Sterns Bezugsrahmen die unbewusste, auf unbewussten Abwehrgründen beruhende Forderung ist, die Erfahrung in ihrem potentiellen oder unformulierten Zustand zu

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