Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Allan Schores (2001) Arbeit über die durch die dyadische Beziehung erfolgrende Affektregulation kommt dem Konzept des Containments sehr nahe. Wenngleich Schore den spezifischen Begriff nie benutzte, hat er intensiv über die projektive Identifizierung als unbewusste Kommunikation zwischen den rechten Hirnhemisphären der Mutter und des Kindes (oder des Patienten und des Analytikers) nachgedacht und einen Prozess beschrieben, dessen Internalisierung in die Fähigkeit zur Emotionsregulation mündet und offenbar die Grundlage des Containments bildet. Anne Alvarez (2016) hat die interessante Nähe zwischen dem Containment-Konzept und dem Konzept der Selbstregulation erläutert: “In Amerika findet heute die Selbstregulation erhebliches Interesse, in Großbritannien das Containment – aber was sind die jeweiligen Komponenten?” Diese Frage macht deutlich, dass Konzepte wie Selbstregulation und Containment konzeptuelle und klinische Überschneidungen aufweisen, die gründlicher erforscht und integriert zu werden verdienen. Das von Raichle (2001) beschriebene neurobiologische Konzept des Default Mode Network (DMN) oder “Ruhezustandsnetzwerks” hat verschiedene Entwicklungen in den Neurowissenschaften und angrenzenden Disziplinen angestoßen. DMN, ein Hirnnetzwerk, das etwa 50% der Zeit im täglichen Leben spontan aktiv wird, ist eine eng verknüpfte Leitungsbahn, welche die Zentren der sozialen Kognition und Erinnerung miteinander verbindet, darunter die Perspektiven auf Selbst und Andere, Tagträumen, Selbstgefühl sowie Erforschung der Zukunft sowie anderer Menschen. Seine endgültige Form nimmt es interessanterweise gegen Ende der Kindheit an. Es fehlt bei Patienten mit Morbus Alsheimer und mit Autismus. Bedenkt man, dass diese Strukturen unterschiedliche Erfahrungen unterstützen, die das Selbstgefühl betreffen, drängt sich die Frage auf, ob dieses Netzwerk im Gehirn als materieller Ausdruck dessen, was die Psychoanalyse als Containmentfunktion beschreibt, angesehen werden kann (Fonseca 2019). Ein Versuch, Kognitionswissenschaften und psychoanalytisches klinisches und metapsychologisches Denken unterschiedlicher konzeptueller Schulen – einschließlich freudianischer und heutiger Ich-Psychologie, Bions Denken und post-bionianischer Ansätze, britischer und nordamerikanischer Objektbeziehungstheoretiker sowie Vertreter der französischen Tradition – zusammenzuführen, wurde von Serge Lecour und Marc-André Bouchard (1998) unternommen. Sie beschreiben eine zweidimensionale Sicht des Mentalisierens, die multiple Ebenen des Containments beinhaltet – deskriptive Ebenen der Affekttoleranz (disruptives Impulshandeln / Agieren und Enactments, moduliertes Impulshandeln / Katharsis, Externalisierung, Appropriation und Abstraktion / reflexives Assoziieren) auf der einen sowie distinkte Repräsentationsmodi bzw. -kanäle der Trieb- und Affektäußerung (somatische und motorische Aktion, Vorstellungsvermögen, Wort/Verbalisierung) auf der anderen Seite. Dieser komplexe Bezugsrahmen beeinflusst die Fähigkeit des Patienten wie auch des Analytikers, zuzuhören, transformierend zu containen und insbesondere bei Patienten mit Störungen des Borderline-Spektrums psychische Strukturen aufzubauen. Die Entwicklung verläuft vom Reflexhaftem zur Reflexion, vom präsymbolischen und

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