Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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enorme Implikationen für den psychoanalytischen Prozess und für unser Verständnis und unseren Gebrauch der Gegenübertragung im klinischen Setting. Kehren wir zu Melanie Klein zurück. Sie beschrieb, wie oben erwähnt, die projektive Identifizierung und ihren engen Zusammenhang mit der Gruppe der frühesten Abwehrmechanismen. Auf diese Weise bahnte sie der Erforschung des gewaltigen Feldes der Beziehungen zu Partial- oder Teilobjekten den Weg. Abgesehen von ihren eigenen Beiträgen zur Erforschung der Pathologie dieser Abwehrformen konnte sie ein realistischeres und vollständigeres Bild sowohl von der psychischen Welt des Säuglings zeichnen als auch vom lebenslangen unbewussten psychischen Funktionieren. Heute ist unter konzeptuellem Blickwinkel eine höhere Präzision möglich: Aufgrund der heterogenen Komplexität des oben beschriebenen Konzepts ist die projektive Identifizierung als eine primitive, von der ersten Gruppe der Abwehrmechanismen erzeugte psychische Funktion zu betrachten. Sie ist die Kommunikationsform par excellence des Vorbewussten. Unter einem konzeptuellen Blickwinkel ist es unangemessen, die aus den verschiedenen Situationen der projektiven Identifizierung hervorgehenden unbewussten Phantasien mit der Funktion, die ihr Auftauchen ermöglicht, zu verwechseln. Zu Beginn des Lebens ist diese Funktion lebenswichtig: Sie ermöglicht es dem hilflosen Neugeborenen, zu überleben und eine Beziehung zu seiner ersten Umwelt aufzunehmen. Von der Geburt bis zum Tod werden projektive Identifizierungen benutzt, um das Gefühl der Existenz und eine Objektbesetzung aufrechtzuerhalten, und zwar insbesondere durch die Internalisierung des abwesenden oder verlorenen Objekts. Projektive Identifizierung ist das zentrale Instrument in jeder Trauersituation. Bei der Melancholie wurde ihre Funktion durch die Angriffe, die das Über-Ich gegen Ich und Es führt, vollständig zerstört. Als eine psychische Funktion, die sich gemäß den charakteristischen Eigenschaften jedes Individuums entwickelt, kann die projektive Identifizierung zur empathischen Einfühlung in das Objekt führen oder zu seiner paranoiden Kontrolle; zu einer reichen Kommunikation von Gefühlen und Gedanken oder zu einer diktatorischen Unterwerfung eines Protagonisten unter den anderen; zu vermehrten Entdeckungen auf dem Feld gemeinsamer Interessen der beiden Beteiligten oder zu einer phobischen Flucht des Subjekts aus der Beziehung, um jedwede Nähe zu den Elementen, die es in seinen Protagonisten projiziert hat, zu vermeiden. Kleins Entdeckung der projektiven Identifizierung ist eine Anwort auf die Frage des Objekts im primär-narzisstischen Zustand: Dieser Zustand kann nicht länger als ein objektloser betrachtet werden, da praktisch jeder abgespaltene Ich-Anteil mit einem abgespaltenen Anteil des äußeren oder inneren Objekts kombiniert werden kann. Freud (1921) hatte bereits festgestellt, dass narzisstische Identifizierungen auf einem einzelnen Detail der Person, die unbewusst als Vorbild genommen wurde, beruhen. Sein Hinweis auf die Notwendigkeit, jedes Detail des verlorenen Objekts zu betrauern, um einen Trauerprozess im eigentlichen Sinn abzuschließen (Freud 1916-17), unterstreicht die

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