Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Entwicklung und/oder der Dynamik bedeutunghaltig sind und dass sie verstanden und nach und nach, in individualisierter Weise, gedeutet werden müssen (Papiasvili 2016).

II. ZUM HINTERGRUND BEI FREUD

Die modernen Ansätze zum Verständnis des Enactments wurzeln sämtlich in Konzepten, die Freud formuliert hat. Seit Breuers Behandlung der Anna O. (Breuer 1893) – der ersten in der psychoanalytischen Literatur beschriebenen Kollusion – interessierte sich Freud (1895 [1893-95]) für die Aktionen und das Verhalten, das Patienten zeigten, während sie dem Analytiker ihre Probleme darlegten. Die Übertragung (Freud 1905) war die erste solcher Entdeckungen (in der Behandlung „Doras“): die Patientin projizierte ihre Phantasie auf den Analytiker. Obgleich Freud den Ödipuskomplex schon 1899 im Zusammenhang mit seiner Selbstanalyse beschrieben hatte ( Die Traumdeutung ), gab er ihm erst 1910 einen höheren Stellenwert, als er zeigte, dass das sexuelle Verhalten des Kindes gegenüber seinen Eltern sich später, im Erwachsenenleben, mit dem Analytiker als Mutter-/Vaterersatz wiederholt. Es folgte die Gegenübertragung (Freud 1910) als Ergebnis des vom Patienten ausgeübten „Einflusses auf das unbewusste Fühlen des Arztes“ (S. 108). Das nächste Konzept war das Agieren (Freud 1914); Freud hatte es allerdings schon früher erwähnt, als er Doras Behandlungsabbruch als einen Racheakt und sich selbst als Ersatzobjekt der Bestrafungswünsche verstand, die eigentlich Herrn K. galten. Eine weitere Grundlage des heutigen Terminus „Enactment“ entwickelte sich, als Freud (1914) die große Bedeutung des Wiederholungszwangs erkannte. Dieses Konzept beschrieb, dass Traumata in der Behandlung und im Leben unbewusst wiederholt werden: „[…] so dürfen wir sagen, der Analysierte erinnere überhaupt nichts von dem Vergessenen und Verdrängten, sondern er agiere es. Er reproduziert es nicht als Erinnerung, sondern als Tat, er wiederholt es, ohne natürlich zu wissen, dass er es wiederholt.“ (S. 129) 1923 rückten mit der Entwicklung der Strukturtheorie die Abwehrmechanismen und ihre Beziehung zum Ich in den Fokus. Zu den Abwehrmechanismen, die für das Konzept des Enactments ausschlaggebend wurden, zählen Projektion, Introjektion und Reprojektion. Kurzum, die heutigen Enactment-Konzepte enthalten zahlreiche Freud’sche Konzepte; freilich gehen sie auch darüber hinaus.

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