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Erwachsenenanalyse wurde geklärt, wie die Spaltungs- und Projektionsprozesse der projektiven Identifizierung zu paranoiden Ängsten führen, so dass das Selbst sich von den aggressiven und hasserfüllten Aspekten, die es in äußere Objekte projiziert hat, verfolgt fühlt. Die klinische Nützlichkeit des Konzepts der projektiven Identifizierung illustrieren mehrere Autoren, indem sie zeigen, wie sie mit seiner Hilfe erfassen und verstehen, dass der mitunter subtile Druck, der von diesen Prozessen ausgeübt wird, die Übertragung und Gegenübertragung beeinflusst. Donald Meltzer darf als der europäische Analytiker gelten, der den größten Beitrag zum Verständnis und zur Weiterentwicklung von Kleins und Bions Theorien über die projektive Identifizierung geleistet hat. In Nordamerika trafen Melanie Kleins Theorien zunächst auf Widerstand, und zwar insbesondere wegen ihrer starken Betonung von Destruktivität und Neid. 1968 aber verlegte Bion seinen Wohnsitz von London nach Los Angeles, wo er fortan fast 10 Jahre lang als Analytiker arbeitete und Seminare anbot. Seine Theorien, nicht zuletzt zu den Kommunikationsaspekten der projektiven Identifizierung, übten auf die nordamerikanische Psychoanalyse wachsenden Einfluss aus. Viele nordamerikanische Analytiker, die eine interpersonale/ relationale Perspektive vertreten, verstehen die projektive Identifizierung heute als einen bi-direktionalen Prozess, der keine bloße Phantasie (wie Klein es sah) darstellt, sondern mit realen Interaktionen zwischen Patient und Analytiker einhergeht. In diesem Sinn betrachtet man die projektive Identifizierung als eine normale Form der Patient-Analytiker-Kommunikation, die mehr oder weniger pathologisch sein kann, je nach Art der evakuierten psychischen Inhalte. So bildet die projektive Identifizierung eine Brücke zwischen dem Intrapsychischen und dem Interpersonalen, und der Fokus der Untersuchung verschiebt sich vom Patienten oder vom Analytiker auf das Feld, das sie gemeinsam konstruieren. In Lateinamerika fanden Melanie Kleins Überlegungen in den 1950er und 1960er Jahren zunächst in Argentinien breite Akzeptanz und gelangten von dort aus in die psychoanalytischen Gesellschaften anderer lateinamerikanischer Länder, in denen sie ebenfalls weiterentwickelt wurden. Lateinamerikanische Analytiker haben differenzierte Theorien über das Verhältnis der Gegenübertragung des Analytikers zu projektiven Identifizierungsprozessen – seiner Rezeption und seines Verständnisses der projektiven Identifizierungen des Patienten – ausgearbeitet. Die konkordanten oder komplementären Identifizierungen werden zu unverzichtbaren Arbeitsinstrumenten, mit deren Hilfe der Analytiker die Objektwelt des Patienten gründlicher verstehen kann. Bions Werk war und ist für die lateinamerikanische Psychoanalyse von Bedeutung; Bion hatte Argentinien und Brasilien besucht. Nicht zuletzt haben seine Theorien die Formulierungen des „analytischen Feldes“ als Ko-Kreation der projektiven Identifizierungen von Analytiker und Patient beeinflusst. Seit Melanie Klein 1946 ihre Theorien über die projektive Identifizierung formuliert hat, ist das Konzept stetig weiterentwickelt und auf reiche, komplexe, differenzierte Weise in allen drei Regionen der IPV ausgearbeitet worden. Diese Entwicklung setzt sich bis heute fort.
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