Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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III. ENTWICKLUNG DES KONZEPTS

Das Verb to enact ist mit to act verwandt, und to act hat unter anderem die Bedeutung, eine dramatische oder schauspielerische Rolle zu spielen. In Verbindung mit dem Substantiv enactment findet sich to enact in unspezifischer Bedeutung in der frühen und in der modernen psychoanalytischen Literatur, wo es dramatische Externalisierungen der inneren Welt des Patienten bezeichnet, zu denen es in einer Sitzung, aber auch im Alltagsleben kommen kann. Der Begriff re-enactment hat dieselbe Bedeutung. In seinem richtungweisenden Beitrag „On Countertransference Enactments“ beschreibt Jacobs (1986) Enactments als Situationen, in denen der Analytiker überrascht sein offenkundig inadäquates Gegenübertragungsverhalten zur Kenntnis nehmen muss. Später werden ihm dann möglicherweise die Zusammenhänge zwischen seinem Verhalten, der emotionalen Induzierung durch den Patienten und eigenen, persönlichen Faktoren klar. Jacobs (1991, 2001) hat den Begriff „Enactment“ präzisiert, ihm zusätzliches Gewicht verliehen und ihn bekannt gemacht. Er benutzte ihn, um ein spezifisches Geschehen in der Analyse zu bezeichnen, nämlich das Ausleben der Psychologie eines Teilnehmers vor den Augen des anderen. Enactments sind demnach Verhaltensweisen des Patienten, des Analytikers oder beider Beteiligter, die in Reaktion auf Konflikte und Phantasien, die durch die laufende therapeutische Arbeit in ihnen aktiviert werden, auftauchen. Diese Verhaltensweisen hängen zwar mit der Interaktion von Übertragung und Gegenübertragung zusammen, sind aber durch Erinnerungen auch mit Gedanken, unbewussten Phantasien und Erfahrungen aus Säuglingsalter und Kindheit verknüpft. So enthält das Konzept des Enactments nach Jacobs zugleich auch das des Reenactments oder der Neuinszenierung im Sinne eines fragmentarischen, bruchstückhaften Wiederauflebens der psychischen Vergangenheit beider Beteiligter. In Jacobs’ Konzept des Entactments klingt Winnicotts (1984 [1963]) ein wenig paradoxe Theorie nach, dass der Patient – sofern in der Analyse alles gut geht und die Übertragung sich vertieft – den Analytiker geradezu veranlassen wird, im Bereich der normalen infantilen Omnipotenz, das heißt in der Übertragung, zu versagen – „und zwar so [zu] versagen, wie es der Patient braucht“ (S. 343). Schon vor Jacobs hatte Hans Loewald (1986 [1975]) den Begriff „re-enactment“ verwendet, nämlich in seinem Aufsatz „Psychoanalyse als Kunst und der Phantasiecharakter der psychoanalytischen Situation“. Dort heißt es: „Als Prozess betrachtet, in den Patient und Analytiker miteinander verwickelt sind, kann die Psychoanalyse auch in einem anderen Sinne als Kunst verstanden werden: Psychoanalytische Situation und Prozess bedeuten unter anderem eine Neuinszenierung [re-enactment], eine Dramatisierung von Aspekten der

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