Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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wird. Das sichtbare Feld wird durch eine unsichtbare Bedeutungsstruktur zusammengehalten. Subjektivität wird im Wesentlichen in dieser Struktur ausgedrückt, die die verflochtene Beziehung von (nicht auf ihre Interaktion reduzierten) Subjekten organisiert. „Die Struktur einer Gestalt“, in der das Ganze (das unbewusste Feld) aus der Verflechtung von Teilen (verkörperlichten Subjekten) auftaucht, konstituiert wiederum das Subjekt. Vor allem in Lateinamerika (de Leon de Bernardi 2008) besteht ein Zusammenhang zwischen dem Wahrnehmungsverständnis der Gestaltpsychologen und Merleau-Pontys Betonung der Beobachtungsfunktion und der Wahrnehmungsphänomene als Indikatoren der Realität. Letztlich erkennen lateinamerikanische Analytiker hier einen bedeutenden Einfluss auf Heinrich Rackers Beschreibung der analytischen Haltung des teilnehmenden Beobachters, die für das Feld-Konzept der Barangers maßgeblich war. Was die einzigartigen interdisziplinären Wurzeln in Europa betrifft, so betrachten einige Autoren das Konzept der „Begegnung“ in der idealistischen Philosophie Hegels und der Phänomenologie Husserls als einen Vorläufer eines psychoanalytischen Verständnisses der Intersubjektivität als einer dialogischen Begegnung , die die Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung transzendiert (Bohleber 2013, S. 807- 809). Hier findet sich möglicherweise der philosophische Hintergrund von Corraos psychoanalytischem Konzept des Feldes, das eine Big-Bang-Begegnung erzeugt. II. B. PSYCHOANALYTISCHE WURZELN Merleau-Pontys Werk und die Gestalttheoretiker haben weltweiten Einfluss ausgeübt, so auf Pichon Rivière, José Bleger sowie Willy und Madeleine Baranger in der lateinamerikanischen Region Rio de la Plata, deren Arbeiten wiederum die italienischen Denker Ferro und Civitarese und den Nordamerikaner Robert Langs beeinflusst haben. In Lateinamerika nahm das von den Barangers formulierte klassische Konzept des „psychoanalytischen Feldes“ im Dialog mit anderen einflussreichen lateinamerikanischen Autoren und in einer psychoanalytischen Kultur, die vorwiegend in der freudianischen und der klassischen britischen objektbeziehungstheoretischen Tradition wurzelt, eine eigene Entwicklung. In Europa, wo man das Konzept der Barangers erst nach und nach in den 1980er und 1990er Jahren kennenlernte, wurde das „psychoanalytische Feld“ für alle weiteren Konzeptualisierungen des Feldes maßgeblich, auch wenn es zugegebenermaßen andere, „einheimische“ Wurzeln gab, nämlich Francesco Corraos Konzept der „Begegnung“ und die Arbeiten der britischen Objektbeziehungstheoretiker, namentlich Wilfred Bions.

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