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Bernardi ist der Meinung, dass Pichon Rivières und auch Blegers wichtigster Beitrag zur Konzeptgeschichte der lateinamerikanischen Psychoanalyse in ihrer Beschreibung des Objekts als Subjekt und dieser dialektischen Subjekt-Objekt- Beziehung besteht – ein Aspekt, der von vielen anderen heutigen kleinianischen Autoren nicht ohne weiteres akzeptiert wird. Indem Pichon Rivière das Konzept der Objektbeziehungen auf diese Weise erweiterte, beschrieb er eine Verbindung, vínculo , eine komplexe Struktur, in der Subjekt und Objekt in Kommunikations- und Lernprozessen unablässig interagieren. VI. Ag. Jorge García Badaracco: Das „verrückt machende Objekt“ García Badaracco, ein Schüler Pichons, griff Pichon Rivières Überlegung auf, dass die innere Welt psychotischer Patienten mit Objekten (multiplen „Imagines“) angefüllt ist, die durch einen progressiven Internalisierungsprozess miteinander verbunden werden, und dass sich in dieser inneren Welt die Dynamik von Rekonstruktionen der äußeren Welt zu erkennen gibt. Badaracco arbeitete diese Annahme mit seinem eigenen Konzept des „verrückt machenden Objekts“ weiter aus. Das „verrückt machende Objekt“, als Konzept erstmals 1985 auf dem IPV- Kongress in Hamburg vorgestellt, ist ein Objekt, das den Betreffenden unbewusst dazu veranlasst, sich sadistisch und bösartig zu verhalten. Gleichzeitig vermittelt es ihm das Gefühl, böse und gemein zu sein. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Eltern die primitiven Triebe des Subjekts aufgrund ihrer eigenen Unzulänglichkeiten nicht abpuffern konnten und die Ängste des Subjekts sowie seinen Neid und Sadismus dadurch zusätzlich verstärkten. Eine solche sadistische Behandlung durch Eltern, die die Hilflosigkeit des Säuglings nicht anerkennen, bewirkt, dass das Kind seine eigene Spontaneität als bedrohlich und gefährlich erlebt. Auf der Suche nach einer befriedigenden Erfahrung und aufgrund fehlender Ich-Ressourcen unterwirft es sich dann den Bedürfnissen der Anderen oder agiert die Art und Weise, wie es selbst behandelt wurde. So wird ein Zyklus der Traumatisierungen und Retraumatisierungen in Gang gesetzt. Diese Formulierung unterstreicht den Beitrag des strukturierenden Objekts zur psycho-emotionalen Entwicklung des Subjekts und seinen Einfluss auf die Ebene der Psychopathologie. Indem das Konzept der inneren „Präsenz“ des Anderen Rechnung trägt, erweitert es die klassische Metapsychologie und eröffnet dem Verständnis schwerer psychischer Erkrankungen eine neue psychoanalytische Perspektive: „Was wir als ‚psychische Erkrankung‘ bezeichnen, erweist sich als ein ‚Typus des psychischen Funktionierens‘, der weitgehend von anderen Personen ‚konditioniert‘ wird […]. Diese ‚anderen‘ Personen können von der realen Welt aus agieren oder ausgehend von einer ‚Präsenz‘ in der inneren Welt, die ich vor Jahren als ‚verrückt machende Objekte‘ bezeichnet habe“ (García Badaracco 2006a, S. 6). Badaraccos Theorie und klinische Praxis beruhen auf den „gelebten Gefühlserfahrungen“ („vivencias“) und gehen davon aus, dass eine emotionale Störung erstens mit einer äußeren und sodann mit einer inneren Präsenz von Anderen in uns zu tun hat. In diesem Kontext betrachtet, sind schwere psychische Erkrankungen das
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