Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Resultat krank und verrückt machender Präsenzen, die sich der Entwicklung von Ich- Ressourcen entgegengestellt und psycho-emotionales Wachstum blockiert haben. Das eigentliche, wahre Selbst wird unterdrückt und der Möglichkeit, sich auf gesunde Weise zu äußern, beraubt. Der psychotische Zusammenbruch, dem zumeist eine innere Veränderung vorausgeht, bietet „Gelegenheit, etwas zu verändern“, und zwar nicht allein unter dem Blickwinkel des Patienten, sondern innerhalb der gesamten Familiendynamik. Badaracco nimmt Bezug auf Freuds Strukturtheorie des Es, Ichs und des Über-Ichs und versteht letzteres, den intrapsychischen Repräsentanten der Gesellschaft, als Abbild der Anderen [Plural] in uns . Er erweitert die psychoanalytische Triebtheorie, indem er die Psyche als Teil eines Feldes reziproker Interdependenzen betrachtet. So gesehen, ist die Existens von Anderen in uns ein universales Phänomen unseres psychischen Geschehens. Die interdependente Beziehung zu jenen Anderen in uns , die in der Kindheit traumatisch war, bleibt in der inneren Welt der Person erhalten, übt einen pathogenen Einfluss aus und ruft pathologische Gefühlserfahrungen hervor: „[…] die ‚konstruktiven Erfahrungen‘ sind jene, die der Erzeugung neuer ‚Ich- Ressourcen‘ zuträglich sind, während ‚negative Erfahrungen‘ die ‚traumatischen Erfahrungen‘ bedingen; diese lassen dann womöglich pathologische und pathogene ‚Ich-Ressourcen‘ entstehen und haben eine Tendenz zur Wiederholung, weil das Subjekt ständig nach der Möglichkeit eines von manchen Autoren so genannten ‚Neuanfangs‘ (Balint) oder einer ‚Neuentwicklung‘ (Winnicott) sucht. Dieser Denkweise zufolge lassen sich traumatische Erfahrungen als Erfahrungen deuten, die pathologische Identifizierungen hinterlassen, das heißt, ‚Präsenzen‘ Anderer in unserem Innern entstehen lassen, die über dieselbe pathogene Kraft verfügen, die sie zum Zeitpunkt der traumatischen Erfahrung selbst hatten.“ (García Badaracco 2006b, S. 4) Wenn dem Kind die Befriedigung seiner Bedürfnisse versagt wird oder seine Elternobjekte sie aufgrund ihrer Unzulänglichkeiten gar nicht wahrzunehmen vermögen, können sich die Elternobjekte in verrückt machende Objekte verwandeln. Anders als Melanie Klein (1980), in deren Augen das gute Objekt ausschließlich gratifizierend und das böse Objekt ausschließlich versagend war, erklärt García Badaracco, dass das gute Objekt mit seiner strukturbildenden Funktion dafür sorge, dass die frustrierenden Erfahrungen erträglicher werden und die befriedigenden begrenzt bleiben. Das böse Objekt beschreibt er hingegen als dasjenige, das diese notwendigen Elemente aufgrund seiner eigenen Unzulänglichkeit nicht vermitteln kann. Stattdessen intensiviert es Frustrationserfahrungen sowie die Neid- und primitiven Hassgefühle, die ebenfalls für ein verrückt machendes Objekt charakteristisch sind. Die langjährige Erfahrung mit komplexen Pathologien, die García Badaracco in öffentlichen Krankenhäusern und in seiner eigenen, aus mehreren Familien bestehenden Therapeutischen Gemeinschaft, sammelte, ermöglichte es ihm, die Bedeutsamkeit der reziproken Interdependenzen zu entdecken und die psychische Pathologie zu verstehen. Die Psyche baut sich seiner Ansicht nach immer aus

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