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einem akuten Enactment kommt, duale Kollusionen entwickelt hat, in denen Patient und Analytiker nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind. Solche „symbiotisierten“ Dyaden zeigen Verhaltensweisen, die Theatervorstellungen oder Imitationen (Sapisochin 2013) ähnlich sind. Diese Art von Verhalten wird als chronisches Enactment bezeichnet. Keiner der Partner der Dyade erkennt, was vor sich geht; erst kurz nach einem akuten Enactment wird es ihnen klar. Die Untersuchung der Sequenz „chronisches Enactment (nicht wahrgenommen) ® akutes Enactment (wahrgenommen) ® Identifizierung des chronischen Enactments“ beschreibt eine Art Naturgeschichte des analytischen Prozesses, wenn man in Bereichen arbeitet, in denen die Symbolisierungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Klinische Fakten decken Abwehrorganisationen auf, die dafür sorgen, dass die Wahrnehmung der triangulären, als traumatisch erlebten Realität vermieden werden kann. Die klinische Erfahrung weist die folgende Sequenz auf: Phase 1 . Der Analytiker weiß, dass er es mit einem unzugänglichen Patienten zu tun hat, der den analytischen Prozess angreift und untergräbt. Er hat aber keinen Zweifel daran, dass die Schwierigkeiten, Geduld und Beharrlichkeit vorausgesetzt, verstanden werden können. Moment M : An einem bestimmten Punkt bietet der Analytiker impulsiv und zu seiner eigenen Überraschung eine Intervention an oder führt eine Handlung aus, die ihn bestürzt, ihm Schuldgefühle bereitet und ihm den Eindruck vermittelt, dass er seiner Analysefähigkeit verlustig gegangen ist. Er fürchtet, seinem Patienten geschadet zu haben, und stellt sich die drohenden Komplikationen vor. Phase 2 . Der Analytiker erträgt seine negativen Gefühle und beobachtet die Konsequenzen seines Verhaltens. Zu seiner eigenen Verblüffung wird der analytische Prozess produktiver; das Netzwerk des symbolischen Denkens wächst. Das Verständnis des Moments M hat die analytische Bindung gestärkt, und der Patient assoziiert mit ihm frühere traumatische Situationen, die nun durchgearbeitet werden können. Die weitere Untersuchung der beschriebenen Fakten lässt den Analytiker erkennen, dass er während Phase 1 in bestimmten Bereichen der Interaktion der analytischen Dyade in einer hartnäckigen Kollusion mit seinem Patienten verstrickt war ( chronisches Enactment ), ohne dies zu bemerken. Die nun identifizierten Kollusionen alternieren zwischen sadomasochistischen und wechselseitig idealisierenden Skripten. Analytiker und Patient kontrollieren einander gegenseitig; jeder wird zu einer Erweiterung des Anderen. Im Rückblick auf Moment M wird dem Analytiker klar, dass er seine Analysefähigkeit in Wirklichkeit keineswegs in diesem Augenblick, sondern schon früher, in Phase 1, verloren hat. So hat zum Beispiel im Moment M die vermeintliche Aggression des Analytikers eine masochistische Kollusion oder eine durch wechselseitige Idealisierung charakterisierte Beziehung aufgelöst, die den analytischen Prozess in Phase 1 blockierte. Im Moment M kommt es zu einem akuten Enactment ,
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