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benutzen auch nordamerikanische Kinder- und Jugendlichenanalytiker das Konzept in der klinischen Arbeit und in der Theorie. Judith Chused beschrieb auf der Grundlage von Theodore Jacobs’ (1986) – in seiner Arbeit mit Erwachsenen entwickelten – Erweiterung der Gegenübertragung um das Enactment eine produktive Verwendung des Selbst mit dem Ziel, die eigenen Reaktionen des Analytikers in der Arbeit mit Kindern zu beobachten. Chused (1991, 1992) schilderte detaillierte klinische Beispiele für ihre Arbeit mit Kindern in der Latenz, mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. 2003 formulierte sie eine breite Definition von „Enactment“: „Wenn das Verhalten oder die Worte eines Patienten einen unbewussten Konflikt in der Analytikerin hervorrufen und dieser zu einer Interaktion führt, die für beide eine unbewusste Bedeutung besitzt, handelt es sich um ein Enactment. Umgekehrt kommt es zu einem Enactment, wenn das Verhalten oder die Worte einer Analytikerin einen unbewussten Konflikt im Patienten hervorrufen und dieser zu einer Interaktion mit unbewusster Bedeutung für beide führt. Enactments spielen sich in der Analyse und außerhalb der Praxis laufend ab […]. Einige der wichtigsten […] ereignen sich, wenn das Verhalten einer Analytikerin infolge einer unbewussten Motivation von ihrer bewussten Absicht abweicht und sich bei genauer Untersuchung ‚falsch anfühlt‘“. (Chused 2003, S. 678) 1995 prägte Judith Mitrani den Begriff „unmentalisierte Erfahrung“, um Situationen in frühester Kindheit zu bezeichnen, die später, in der Analyse, im Prozess des Enactments Ausdruck finden. Nun können sie in der Übertragung gedeutet werden und unseren Phantasiekonstruktionen eine signifikante Form verleihen. Später erkannte Mitrani (2001), dass das Wort „Erfahrung“ [„experience“] in diesem Zusammenhang irreführend ist, weil eine Erfahrung psychisches Gewahrsein und infolgedessen einen gewissen Grad an Mentalisierung voraussetzt. Deshalb betonte sie den Unterschied zwischen etwas, das einem Individuum zustößt , und etwa, das erduldet und anschließend mit Hilfe eines containenden Objekts ins Bewusstsein gehoben wird, mit anderen Worten: Etwas, das einen gewissen Grad an psychischer Signifikanz erlangt hat. Mit dieser Überlegung knüpft Mitrani an Federn (1952), Bion (1962) und Winnicott (1974) an. Federn (1952) traf eine wichtige Unterscheidung zwischen dem Aushalten [ suffering ] von Schmerz und dem Empfinden [ feeling ] von Schmerz. Schmerz auszuhalten ist für ihn ein aktiver Prozess, durch den das Ich den schmerzerzeugenden Vorgang – zum Beispiel eine Versagung oder einen Objektverlust – annimmt und in seiner ganzen Intensität spürt. Dadurch werden sowohl der Schmerz als auch das Ich verändert. Im Gegensatz dazu bedeutet das bloße Empfinden von Schmerz, dass der schmerzerzeugende Vorgang vom Ich weder ertragen noch durchgearbeitet wird. Er wird nicht containt, sondern berührt lediglich die Grenze des Ichs und wird dort abgewehrt. Jedes Mal, wenn sich das Schmerzgefühl wiederholt, beeinträchtigt es das Ich mit derselben Intensität und traumatischen Wirkung. Die
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