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(„ empathie énactante“ ) in der Gegenübertragung des Analytikers trifft. Die Italiener de Marchi (2000) und Zanocco et al. (2006) betrachten die Empathie – präziser: die „sensorische Empathie“ – als einen Aspekt der primären Bindung und als elementares Instrument einer Kommunikation, die dem Enactment nahe kommt. Green (2002) versteht „énaction“ als einen Angriff auf das Setting. Ebenfalls im frankophonen Bereich erläutern die belgischen Autoren Godfrind-Haber und Haber (2002) ausführlich ein mit dem Enactment zusammenhängendes Konzept, nämlich die „gemeinsame agierte Erfahrung“ oder „ l’expérience agie partagée “. Das Konzept unterstreicht den Wert der „gemeinsamen unbewussten interpsychischen Aktion“. Dabei handelt es sich um eine präsymbolische Vorbereitungsphase, in welcher der Patient einen „symbolischen Sprung“ machen und seine Symbolisierungsfähigkeit wiedererlangen kann, so dass er die nachfolgenden Deutungen als bedeutungshaltig zu erleben vermag. Europäische Weiterentwicklungen des Gegenübertragungskonzepts enthalten Beschreibungen unangemessener Reaktionen, zu denen sich der Analytiker unter dem Druck der Übertragung des Patienten verleiten lässt. Das Konzept der projektiven Identifizierung ermöglicht es, die Dynamik dieser Prozesse zu verstehen. Sandler zählt mit seinem Beitrag über die Rollenresponsivität ebenso wie Joseph mit ihrem die Patient-Analytiker-Beziehung vertiefenden Konzept der „Übertragung als Gesamtsituation“ zu den Autoren, die enactmentnahe Phänomene beschreiben. Steiner (2006b) versucht, die Beziehung zwischen Gegenübertragung und Enactment wie folgt zu klären: „Ich verstehe die emotionale und intellektuelle Verfügbarkeit als Gegenübertragung und die Umsetzung in Handeln als Enactment“ (S. 326). Nicht anders als in Nord- und Südamerika halten heute auch in Europa die meisten Analytiker Enactments für genauso unvermeidlich wie die Übertragung und Gegenübertragung. Im Gegensatz zu der großen Meinungsvielfalt, die nord- und südamerikanische Analytiker in Bezug auf die Nützlichkeit und Erwünschtheit von Enactments sowie die Art ihrer Verwertbarkeit vertreten, verstehen europäische Analytiker Enactments zumeist als ein Versagen der containenden Funktion des Analytikers; infolgedessen halten sie ihr Auftreten nur dann für nützlich, falls und wenn der Analytiker sich ihrer bewusst wird und sie im analytischen Prozess zu deuten und durchzuarbeiten vermag. Gibeaults (2014) Konzept der „enaktiven Empathie“, de Marchis (2000) und Zanoccos (2006) „sensorische Empathie“ sowie Godfrind-Habers und Habers (2002) „gemeinsame agierte Erfahrung“ sind Beispiele für Konzepte, die mit dem des Enactments verwandt sind und den Zugang zu präverbalem, noch nicht repräsentiertem und nicht symbolisiertem Material sowie dessen analytische Bearbeitung betonen. Sie bilden zwar keinen Mainstream, bereichern aber den europäischen und den weltweiten Dialog über Enactments und damit zusammenhängende Phänomene.
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