Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Körperfunktionen. […] Es hängt eng mit dem Konzept des Primärvorgangs zusammen“ (ebd.), d.h. es hat eine tiefe Verbindung mit dem Unbewussten und mit dem Träumen. In einem der in „Playing and Reality“ versammelten Beiträge schreibt Winnicott (1971) über „das tiefe Träumen im Innersten der Persönlichkeit“ (S. 109). Das heißt, das wahre Selbst ist primär, und das „Konzept einer individuellen inneren Realität von Objekten betrifft ein Stadium, das später auftaucht als dasjenige, das wir mit dem Konzept des wahren Selbst beschreiben“ (Winnicott 1960b, S. 149). In dem reichen, schwierigen Beitrag „Communicating and not communicating leading to a study of certain opposites“ vertieft Winnicott (1965 [1963]) seine Gedanken über das wahre Selbst. Er verleiht ihm einen rätselvolleren Charakter: „Nach meiner Ansicht verfügt die gesunde Persönlichkeit über einen innersten Kern, der dem wahren Selbst der gespaltenen Persönlichkeit entspricht; ich bin der Ansicht, dass dieser innerste Kern niemals mit der Welt der wahrgenommenen Objekte kommuniziert und dass das Individuum weiß, dass die äußere Realität niemals mit ihm kommunizieren oder durch sie beeinflusst werden darf. […] Das Zentrum einer jeden Person birgt ein von der Außenwelt isoliertes Element, das heilig und unbedingt bewahrenswert ist“ (S. 187). Dieses innere Zentrum ist „auf ewig immun gegen das Realitätsprinzip und auf ewig stumm“ (ebd., S. 192). Es ist stumm in dem Sinn, dass es keine Kommunikation mit der Außenwelt unterhält, sowie in dem Sinn, dass es eine stumme, innere, traumähnliche Kommunikation mit subjektiven Objekten und Phänomenen führt, die „als vollkommen real empfunden wird“ (ebd., S. 184), weil sie mit dem tiefen, persönlichen, zentralen Element des Individuums in Verbindung steht. Der Zugang zu diesem inneren, nicht kommunizierenden Zentrum ist der Fähigkeit des gesunden Individuums, allein zu sein, inhärent. Von hier geht das spontane Hand- Ausstrecken-nach-Anderen aus. Winnicott bezeichnet die stumme, zentrale Kommunikation als „direkt“ und die Kommunikation mit äußeren Objekten als „indirekt“. Sie ist indirekt in dem Sinn, dass ihre Verbindung mit dem Zentrum der Persönlichkeit lediglich mittelbar ist; gleichzeitig macht sie die Kommunikation mit anderen lebendig. Winnicotts Denken hat viele nachfolgende Entwicklungen in den Theorien des Selbstt in allen drei psychoanalytischen Regionen direkt und indirekt beeinflusst; zu nennen sind neben vielen anderen Beispielen Mahler, Bollas, Modell, Gaddini, Gammelgaard, Badaracco und Bleichmar. IV. B. Das Selbst in der Ich-Psychologie und in der post-freudianischen Strukturtheorie Mit ihrem wachsenden Interesse an den komplexen Zusammenhängen von Ich- Aktivität, Anpassung und früher Entwicklung versuchten die Ich-Psychologen (z.B. Hartmann 1939, 1964; A. Freud 1936; Spitz 1950), ihre neuen klinischen Beobachtungen in Freuds Metapsychologie zu integrieren. Ihre ich-

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