Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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von Mahler (Mahler et al. 1986 [1975]) erörterten komplizierten Zusammenhänge der frühen Entwicklung konzentrierte, vertrat die Ansicht: “Bevor das Kind mit dem allmählichen Einsetzen des Separations-Individuationsprozesses aus dem symbiotischen Orbit aufzutauchen beginnt, ist kein Selbstkonzept möglich” (S. 971). Blum integriert den von René Spitz konzipierten “reziproken Dialog” (Spitz 1965), Winnicotts “Übergangsobjekt” (Winnicott 1965) und Piagets “Objektpermanenz” (Piaget 1951 mit Mahlers Schema der Separation-Individuation und zeichnet ein komplexes Bild der progressiv-regressiven Veränderungen, die sich innerhalb der Objektbeziehungsmatrix und der zugrundeliegenden Konflikte vollziehen und nach dem Erwerb der Selbst- und Objektkonstanz im dritten Lebensjahr zum Auftauchen einer kohärenten Selbstrepräsentation und eines relative kontinuierlichen Selbstgefühls führen.

V. WEITERE ENTWICKLUNGEN IN NORDAMERIKA BIS HEUTE

V. A. Integrative Modelle

Otto F. Kernberg Seit den 1970er Jahren arbeitet Otto F. Kernberg an einer Version der Objektbeziehungstheorie innerhalb der Strukturtheorie/Ich-Psychologie. In seinem Modell bilden Selbst-Objekt-Affekt-Einheiten (Kernberg 1977) die primären Determinanten der psychischen Strukturen Es, Ich und Über-Ich. Das Modell sieht ein „übergeordnetes“ Selbst vor, das die Gesamtsumme der partialen Selbstrepräsentationen, die nach und nach vervollständigt werden, darstellt (Kernberg 1982, 2004, 2012, 2013, 2014, 2015). Seine psychoanalytische Objektbeziehungstheorie integriert die neuro-biologische Aktivierung der Affektsysteme, die Differenzierung zwischen Selbst und Anderen, die Entwicklung einer Theorie des Geistes und der Empathie, das Auftauchen der Struktur des Selbst und die Entwicklung des Mentalisierens. In seiner Arbeit „Self, Ego, Affects, and Drives“ legt Kernberg (1982) seine Sichtweise der Entwicklung und Strukturbildung dar und spricht sich für eine Modifizierung der dualen Triebtheorie aus. Schon in diesem Beitrag plädiert er dafür, mit dem Begriff „Selbst“ speziell die Gesamtheit der Selbstrepräsentationen, die in engem Zusammenhang mit der Gesamtheit der Objektrepräsentationen zu sehen sind, zu bezeichnen. Kernberg definiert das Selbst als eine intrapsychische Struktur, die aus dem Ich hervorgeht und in dieses eingebettet ist. Damit orientiert er sich eng an Freuds impliziter Annahme, dass Selbst und Ich unauflöslich miteinander zusammenhängen. Diesem Modell zufolge wird das Selbst mit libidinösen wie auch aggressiven

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