Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

bringt. In seinem Artikel „The sense of agency and the illusion of the self“ (Modell 2007) beschreibt er ein Selbst, das durch emotionale Erfahrung laufend rekontextualisiert werden muss. In diesem Artikel, gleichfalls ein Beispiel für interdisziplinäres Denken, erörtert er das Phänomen des Phantomgliedes und vertritt die These, dass die Kontinuität des Selbst, einer transitorischen Hervorbringung [transitional creation], möglicherweise „eine unbewusst erzeugte Illusion“ (S. 8) sei, ohne die wir nicht leben können (Kirshner 2010). In einem Vortrag mit dem Titel “The Unconscious as a Knowledge Processing Center” (Modell 2008) beschreibt er das Selbst als einen Prozess und eine dynamische Umschrift der Erfahrung, durch die er die Illusion/Fiktion eines privaten, kontinuierlichen Kernselbst ersetzt. Thomas Ogden Ogden (1989), der Klein und Bion zusammenführt und an Bick, Meltzer und Tustin anknüpft, identifiziert einen primitiven, präsymbolischen, von Sinneswahrnehmungen dominierten „autistisch-berührenden“ Modus, der in der frühen Entwicklung sowie bei autistischen psychotischen Störungen rudimentäre Selbsterfahrungen erzeugt: “Dieser Modus ist eine primitive psychische Organisation und operiert von Geburt an. […] Er wird beherrscht von sensorischen Eindrücken und lässt aus dem Rhythmus der insbesondere auf der Hautoberfläche wahrgenommenen Empfindungen ein sehr unausgereiftes Selbstgefühl hervorgehen. […] Sequenzen, Symmetrien, Periodizität, Haut-an-Haut-‚Formung‘ sind Beispiele für Kontiguitäten, welche die Bestandteile bilden, aus denen die Anfänge rudimentärer Selbsterfahrung hervorgehen“ (Ogden 1989, S. 30f.). Im Zusammenhang mit Reverie und Metapher als unverzichtbaren Bestandteilen der psychoanalytischen Arbeit postuliert Ogden (1997) eine Dualität innerhalb des Selbst, nämlich „das Selbst als ein Objekt“ und „das Selbst als ein Subjekt“: “Im Prozess der Metaphorisierung werden verbale Symbole erzeugt, die dem Selbst als Objekt (‚me‘) eine Gestalt und emotionale Substanz verleihen und auf diese Weise Symbole erschaffen, die als Spiegel dienen, in denen das Selbst als Subjekt (‚I‘) sich selbst erkennt oder erschafft.“ (Ogden 1997, S. 729) Das in der Reverie und im Prozess der Metaphernbildung mit der mentalen Aktivität des Primärvorgangs gesättigte duale Selbst Ogdens erinnert an James Grotsteins früheren Beitrag über die multiplen Selbste des Träumers (Grotstein 1979).

646

Made with FlippingBook - Online magazine maker