Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Arnold Modell Seit 50 Jahren arbeitet Arnold Modell (1968, 1984, 1990, 1993, 2003, 2007) an der Definition der paradoxen Natur des Selbst, das sowohl ein evolvierendes Kontingenzprodukt darstellt als auch einen dauerhaften Kern. Diese Aufgabe veranlasste ihn, sich – zunächst von der freudianischen Theorie und von Winnicott und den Objektbeziehungstheorien ausgehend – den intersubjektiven Ansätzen und den Neurowissenschaften zuzuwenden. Modell war einer der ersten US-amerikanischen Analytiker, die Winnicotts Denken und seine klinische Sicht auf die Geburt des Selbst durch Spiegelung und Objektverwendung in ihre Theorie zu integrieren versuchten. Die Betonung der Bedeutungsstiftung durch die Herstellung eines Übergangsraumes zwischen Säugling und Mutter erhielt in Modells ursprünglicher Theorie des Selbst zentralen Stellenwert (Modell 1968). Modell entwickelte Winnicotts Konzepte weiter und führte in seinem Buch „Object Love and Reality“ (Modell 1968) zwei Themen ein: den intersubjektiven Aspekt der Übertragung und die für die menschliche Motivation grundlegende unabweisbare Aufgabe des Selbst, seiner Erfahrung Bedeutung zuzuschreiben (Kirshner 2010). Er verstand sein intersubjektives Denken als Ergänzung der freudianischen Triebtheorie und führte in „Psychoanalysis in a New Context“ (Modell 1984) aus, dass das Selbst nicht nur auf biologischen Trieben beruht und aufbaut, sondern auch durch äußere Einflüsse, in einem dyadischen Austausch, konstituiert wird. In diesem Zusammenspiel zweier Psychologien widmet sich eine Inside-out- Version – die Eine-Person-Psychologie – Phänomenen wie dem Träumen, der Symptombildung und der Unverletzlichkeit des privaten oder Kern-Selbst, während die Outside-in-Version – das intersubjektive Zwei-Personen-Modell miteinander verflochtener Selbste – auf die relationale Qualität der gesamten psychischen Aktivität fokussiert. Im psychoanalytischen Prozess sind beide aktiv. Ganz ähnlich wie Loewald und Green vertrat Modell die Ansicht, dass die Psychoanalyse dem Patienten weniger eine heilende [restorative] neue Beziehung anbiete als vielmehr eine neue Beziehung zu bereits existierenden Objekten. In seinem Buch „The Private Self“ (Modell 1993) tritt erneut die Betonung des - im affektiven Gedächtnis – verankerten verborgenen inneren Selbst in den Vordergrund. Hierbei stützt sich Modell auf die neurowissenschaftliche Forschung Gerald Edelmans, der die These vertritt, dass die Fähigkeit des Gehrins, Erinnerungen in neuen Kontexten der Lebenserfahrungen neu zu kategorisieren und umzuschreiben, einen evolutionären Wert besitzt und die Kontinuität des Selbst aufrechterhält. Modell versteht diese Abhängigkeit von spezifischen Kontexten nicht nur als eine neurobiologische Grundlage der von Freud beschriebenen Nachträglichkeit (après coup, deferred action), sondern auch als Lösung der Paradoxie des zugleich ephemeren wie auch überdauernden Selbst. In seinen späteren Schriften (Modell 2003, 2007) geht Modell weiter als Edelman, indem er die Umschrift um die kreative und affektive Dimension ergänzt. Dies ist sein Hauptbeitrag. In „Imagination and the Meaningful Brain“ (Modell 2003) arbeitet er den Prozess der Umschrift weiter aus, indem er ihn mit der metaphorischen Kreativität in Verbindung

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